Wien: Theologen diskutieren neues Habermas-Großwerk
Seit knapp zwei Jahren wird die philosophische Fachwelt vom 1.750 Seiten umfassenden Großwerk "Auch eine Geschichte der Philosophie" von Jürgen Habermas elektrisiert. Von Beginn an waren es auch Theologinnen und Theologen, die sich durch den Versuch des Werkes, die Geschichte der säkularen Vernunft als Geschichte des Ringens von Glauben und Wissen zu deklinieren, herausfordern ließen. Nun hat am Mittwochnachmittag eine hochrangig besetzte internationale Tagung in Wien begonnen, in der die großen Bögen des Werkes ebenso diskutiert werden wie Detailfragen etwa zur Luther- oder Kant-Rezeption bei Jürgen Habermas.
Den Auftakt der Tagung, die gemeinsam vom Institut für Interkulturelle Religionsphilosophie und dem Forschungszentrum "Religion and Transformation in Contemporary Society" (RaT) an der Universität Wien veranstaltet wird, machte ein Vortrag des evangelischen Münchner Theologen em.Prof. Friedrich Wilhelm Graf. Darin zeigte Graf u.a. Motive protestantischen Denkens in der Argumentation und in den Grundannahmen Habermas' auf - etwa bei dessen Leidenschaft für die textliche Quellenarbeit -, auch würdigte Graf das Luther-Kapitel in Habermas' Werk als ein auch für die Philosophie zentrales Kapitel; Kritik äußerte der Theologe indes daran, dass Habermas offenbar von einer klarer disziplinären Trennung von Theologie und Philosophie gerade in der Geschichte der Neuzeit ausgeht, die so jedoch - so Graf unter Verweis auf protestantische Denker des 19. und 20. Jahrhunderts - nicht existiert habe.
Schelkshorn: Herausforderung für Theologie
Dass das Werk von Habermas insgesamt eine große Herausforderung für die Theologie darstellt, daran besteht laut dem Wiener Philosophen Prof. Johann Schelkshorn, der die Tagung gemeinsam mit dem emeritierten Philosophen Prof. Rudolf Langthaler leitet, kein Zweifel. "Habermas wird mit dem Werk nicht zum Theologen", vielmehr verfolge er weiter ein sehr klares "nachmetaphysisches Konzept", das sich - bei allem Beharren auf bleibenden "semantischen Gehalten" religiöser Traditionen und theologischen Denkens - durch eine "radikale Religions- und Metaphysikkritik" auszeichne.
Die Tagung dauert noch bis Freitag (24. September). Sie findet im Wiener Otto-Mauer-Zentrum (Währinger Straße 2-4) statt und wird als Hybridveranstaltung durchgeführt (Infos und Livestream unter https://habermas.univie.ac.at).
Das 1.750 Seiten umfassende zweibändige Werk "Auch eine Geschichte der Philosophie" von Jürgen Habermas war 2019 erschienen und hat sogleich zu einer heftigen Debatte in Philosophie, aber auch in Teilen der Theologie geführt. Darin zeigt Habermas in einem philosophiegeschichtlichen Durchgang auf, dass der Diskurs von Glauben und Wissen eine Art durchgängiges Motiv darstellt, welches nicht nur einen Seitenstrang des philosophischen Denkens ausmacht, sondern als Motor des heutigen säkularen, von Habermas als "nachmetaphysisch" bezeichneten Denkens schlechthin gelten kann.
Zahlreiche Motive der Darstellung hat Habermas bereits in früheren Aufsätzen und Publikationen seit den 1980er Jahren entwickelt - etwa den Gedanken, dass eine postmetaphysische Moral kaum in der Lage ist, unbedingte Bindungskräfte zu erzeugen, ohne dabei auf existenzielle Quellen ethischer Orientierung zurückzugreifen, wie sie eben die Religion bietet. Mit dem Schlagwort "postsäkular" und der Perspektive auf mögliche Übersetzungsprozesse zwischen Philosophie und Religion näherte sich Habermas bereits in seiner Friedenspreisrede 2001 diesem an sich "verminten Gelände". Die Publikation von 2019 bündelt diese Motive und Überlegungen und fügt sie in eine darüber hinausgehende Gesamtgeschichte, eine "Genealogie", ein.
(Jürgen Habermas: "Auch eine Geschichte der Philosophie. Band 1: Die okzidentale Konstellation von Glauben und Wissen; Band 2: Vernünftige Freiheit. Spuren des Diskurses über Glauben und Wissen", Suhrkamp Verlag, 1.752 Seiten)
Quelle: kathpress