Scheuer: Herausforderung der Migration braucht starkes "Wir"
Die Herausforderung der Migration ist ohne gemeinsame Anstrengung, ohne Grundkonsens und Kooperation nicht zu bewältigen. Das hat der Linzer Bischof Manfred Scheuer betont. Er hielt Montagabend den Hauptvortrag bei der Jahrestagung der Initiative Christlicher Orient (ICO) in Salzburg. Scheuer sprach zum Thema "Migration und Integration aus Sicht der Kirche in Österreich" und stellte in diesem Zusammenhang die Fragen: "Wie steht es mit der Ressource Solidarität? Was hält uns noch zusammen?" Der Bischof plädierte für ein "Wir, das mitnimmt". Und er zitierte in diesem Zusammenhang Angela Merkel - "Wir schaffen das!" - und Barack Obama - "Yes we can!".
Es brauche ein "Wir", "das sich gemeinsam den Krisen und Problemen des Alltags selbstbewusst entgegenstellt", so der Bischof. Es gehe um eine Transformation von resignativer Ohnmacht in kreative Gestaltungsmacht. Dies sei das Ergebnis eines oftmals mühevollen Prozesses, "in dem ein dichtes Beziehungsnetz zwischen Einzelpersonen, Initiativgruppen, Nachbarschaften und vielen weiteren Akteuren geknüpft und zu einer stabilen Basis eines gemeinschaftlichen Engagements für die Verbesserung der unmittelbar spürbaren Lebensbedingungen wird".
Relevant für das menschliche Verhalten sind laut Scheuer die Faktoren Fairness und Vertrauen: "Das eigene Handeln hängt vor allem auch davon ab, welches zukünftige Handeln man vom Gegenüber erwartet bzw. glaubwürdig erwarten darf. Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind für Kooperation unabdingbar. Sonst zerreißt das Wir-Gefühl."
Diese Faktoren für ein gutes Zusammenleben seien aber gegenwärtig vor vielfache Herausforderungen gestellt. Wenn etwa in den Sozialen Medien Gerüchte und Attacken auf die Glaubwürdigkeit politischer Gegner gestreut werden, dann werde systematisch ein Wir-Gefühl, das über die eigene Partei hinausgeht, unterminiert, warnte der Bischof. Es gelte deshalb "zu verhindern, dass man die Öffentlichkeit mit Falschinformationen flutet und die Glaubwürdigkeit des politischen Gegners attackiert".
Gott ruft zur Umkehr
Die Botschaft der Bibel sei eindeutig, betonte Bischof Scheuer weiter: Jesus habe die Begebenheit seiner Zeit, wie etwa den Zusammenbruch eines Turmes oder eine politische Mordtat als einen Anruf Gottes vernommen, der damit den Menschen zur Umkehr bewegen will. Und das gelte auch heute für Kriege, Katastrophen, Klimawandel und für politische Vorgänge. In diese konkreten Erfahrungen und Ereignisse seien die Worte Jesu hineingesprochen: "Ich war hungrig, durstig, fremd, nackt, krank, im Gefängnis, und ihr habt mir zu essen, zu trinken gegeben, habt mich aufgenommen, habt mir Kleidung gegeben", - oder auch nicht.
Angst ist kein guter Ratgeber
Scheuer erinnerte in seinem Vortrag u.a. an die nun abtretende deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Einmal darauf angesprochen, dass sie ja auch Verantwortung habe, Europa vor der Islamisierung zu schützen, habe Merkel bemerkenswert geantwortet. Sie habe darauf hingewiesen, dass viele der Kämpfer des islamistischen Terrors aus westlichen Ländern kommen und dann fortgesetzt: "Angst war noch nie ein guter Ratgeber. Nicht im persönlichen Leben, und auch im gesellschaftlichen Leben nicht. Kulturen und Gesellschaften, die von Angst geprägt sind, werden mit Sicherheit die Zukunft nicht meistern." Und sie habe ein deutliches Wort an die Adresse jener gerichtet, die immer vor dem Islam warnen: "Wir haben alle Freiheit, uns zu unserer Religion zu bekennen." Viele Muslime würden sich zu ihrem Glauben bekennen. Sie vermisse im Westen, "dass auch wir den Mut haben, zu bekennen, dass wir Christen sind".
Als Christen nicht untätig sein
Der Salzburger Erzbischof Franz Lackner stand Montagnachmittag im Rahmen der ICO-Tagung im Bildungszentrum St. Virgil einer ökumenischen Vesper vor. In einem Grußwort warnte er zudem vor der Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid von Menschen auf der Flucht.
Im Antlitz des je Anderen gelte es, Gott zu erkennen. Dieser Anspruch lasse sich freilich nicht so einfach in ein Programm fassen. "Darin liegt generell die Tragik unserer Zeit, eine Zeit des Wandels, besonders dann, wenn, wie gerade jetzt wieder, Menschen vor Autoritäten, die sich auf Religion berufen, fliehen müssen", so Lackner wörtlich. Er fügte aber zugleich hinzu: "Wir dürfen als Christen nicht untätig sein, wir müssen uns davon betreffen lassen."
Libanon am Abgrund
Der Montag war bei der ICO-Tagung vor allem dem Thema Migration und dem Leben der Orient-Christen im Westen gewidmet. Es kamen aber in Liveschaltungen Projektpartner der ICO aus dem Orient zu Wort. Aus dem Libanon war Sr. Zahia Frangie, Oberin des Hauses St. Josef der Barmherzigen Schwestern in Ajeltoun zugeschalten. Die Schwestern betreiben im Libanongebirge Schulen und ein Internat. Sr. Zahia berichtete von dramatischen Zuständen im Land, das am Rande des wirtschaftlichen und sozialen Kollaps steht.
Die Menschen würden sich um drei Uhr früh vor den Tankstellen anstellen, um im Laufe des Tages einige Liter Benzin zu bekommen, sonst sei keine Mobilität mehr möglich. Auch die Lehrer könnten kaum mehr zur Schule kommen, weil es kein Benzin mehr gibt bzw. dieses auf dem Schwarzmarkt viel zu teuer sei.
Die Eltern könnten sich den Schulbus für ihre Kinder nicht mehr leisten. Der Preis für den Bus sei bereits zehn Mal so hoch wie das Schulgeld, so die Ordensobere. Unter diesen Umständen sei es unklar, ob das neue Schuljahr in diesen Tagen tatsächlich beginnen werde.
Inzwischen mache sich auch in weiten Bevölkerungsschichten Hunger breit, so die Leiterin der Schwestern von Ajeltoun. Der Preis für Reis habe sich zuletzt verfünffacht, Fleisch sei für Normalbürger längst unerschwinglich. Sr. Zahia: "Unsere Kinder wissen nicht mehr, wie ein Hühnchen schmeckt." An manchen Tagen gebe es in den Bäckereien noch Brot, an anderen nicht mehr. Ein neues Projekt, das die Schwestern dingend in Angriff nehmen wollen, ist eine Schulausspeisung. Das sei freilich ohne weitere Hilfe nicht möglich.
Die Schwestern hatten zuletzt das Glück, noch 1.000 Liter Heizöl kaufen zu können; freilich nur mehr gegen Dollar, die Landeswährung (Libanesische Pfund) werde von den Händlern nicht mehr akzeptiert. Die Inflation liegt bei 90 Prozent. Die Schwestern wissen auch noch nicht, wie sie Schule und Internat über den ganzen Winter hinweg heizen sollen. Man wolle aber unter allen Umständen - im Interesse der Kinder - den Schul- und Internatsbetrieb aufrechterhalten, bekräftigte die Ordensfrau.
Aus dem Nordirak war Pfarrer Samir Yousif aus dem Dorf Enishke zugeschalten, ein langjähriger Projektpartner der ICO. Yousif berichtete über zentrale ICO-Hilfsprojekte: Lebensmittelhilfe für Corona-Betroffene und Winternothilfe in Form von Heizöl für bedürftige Familien. Die Hilfe diene zum einen dazu, dass die Christen in ihrer Heimat bleiben können, genauso komme die Hilfe aber auch bedürftigen Muslimen oder Jesiden zugute, betonte der Pfarrer.
(Infos: www.christlicher-orient.at)
Quelle: kathpress