Bischöfe Schwarz und Elbs: Säkularisierung eröffnet Chancen
Die Säkularisierung ist für die Kirche nicht nur mit einem Bedeutungsschwund verbunden, sie eröffnet auch Chancen, die die Kirche als Mitgestalterin im gesellschaftspolitischen Bereich nutzen sollte. Das ist der Tenor der Beiträge zweier Bischöfe - Alois Schwarz (St. Pölten) und Benno Elbs (Feldkirch) - für den neuen Sammelband "Ambivalenzen", erschienen im Pustet Verlag anlässlich des 80. Geburtstages der früheren Präsidentin der Katholischen Aktion Österreich (KAÖ), Luitgard Derschmidt. Der Band versammelt eine Vielzahl hochkarätiger Autorinnen und Autoren, darunter die Linzer Bischöfe Manfred Scheuer und Maximilian Aichern, die Theologen Paul Zulehner und Regina Polak sowie der Mystiker David Steindl-Rast.
Die Bischöfe Schwarz und Elbs skizzieren im gleichnamigen Buchteil die "Aufgabe der Kirche" unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen. Elbs plädierte dafür, in Krisenzeiten wie der gegenwärtigen Pandemie nicht "reaktiv" auf eine möglichst baldige Rückkehr zur bekannten "Normalität" zu hoffen, sondern im Sinne des Papst-Buches "Wage zu träumen!" den Mut aufzubringen, "proaktiv" über den gegenwärtigen Horizont hinaus "groß" zu denken. Gerade Christen sollten sich eine "handlungsfähige Haltung der Zuversicht" zu eigen machen und von Angst geprägten Polarisierungen, "verbunden mit dem wachsenden Einfluss rechtspopulistischer Strömungen", entgegenzutreten.
Auch die im Zuge von Corona in den Hintergrund getretene Umwelt- und Klimakrise erfordert nach Überzeugung von Elbs, dass Gläubige politisch wach sind: Neben der Bibel gelte es täglich die Morgenzeitung aufzuschlagen - die Bibel auch deshalb, weil dort "die Krisen- und Rettungserfahrungen vieler Generationen verdichtet" seien und dies wiederum Generationen von Menschen durch solche Erfahrungen getragen habe. "Frei flottierende Ängste" machen laut dem ausgebildeten Psychotherapeuten "anfällig für lähmende Depression" und "Manipulation", die oft zur "Jagd auf Sündenböcke" einhergehe. Die Kirche solle Menschen dabei unterstützen, mit ihren Ängsten konstruktiv umzugehen.
"Klare Worte" müsse die Kirche auch für Arme und Bedrängte aller Art sprechen - "gerade dort, wo sie nicht gerne gehört werden oder politisch nicht opportun sind". Als Beispiel nannte Bischof Elbs den Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik.
Umgang mit Heterogenität lernen
Eine "von der Welt lernende Position" statt einer die Welt diskriminierenden legte der St. Pöltner Bischof den Verantwortlichen in Politik und Kirche ans Herz. Schwarz sah in seinem Beitrag Parallelen zwischen Kirche und Politik, die sich beide in von Unsicherheiten und Komplexität gekennzeichneten Zeiten neuen Herausforderungen gegenübersähen. Wichtig sei es, einen guten Umgang mit Heterogenität in der Gesellschaft zu finden - etwa beim Thema Migration: "Aus 'Gastarbeitern' wurden Mitbürger/innen, aus Arbeitskräften Nachbarn, aus Zuwanderern Einheimische", hielt Schwarz fest. Hier brauche es eine wechselseitige "kulturelle Anerkennung, ohne die auf Dauer kein Zusammenleben möglich ist".
Interreligiöse Verständigung erfordere das Aushalten von Differenz und auch Dissens. "Dabei helfen uns die Spiritualität und die Mystik", die es in den verschiedenen Traditionen gebe, so Schwarz. Unverrückbare Grundwerte der Demokratie wie Religions- und Meinungsfreiheit, die Gleichheit von Mann und Frau, die Freiheit des Individuums oder der Respekt vor Andersdenkenden sind laut dem Bischof "nicht verhandelbar" und müssten sowohl von Politik als auch Kirche gewahrt werden.
In der gegenwärtigen Gesellschaft seien Haltungen wie Vertrauen in früher kaum umstrittene Autoritätspersonen wie Politiker, Lehrkräfte oder Kleriker abhandengekommen. Religionen werde kein übergeordneter Platz mehr eingeräumt. Dennoch plädierte Schwarz wie Papst Benedikt in seiner berühmt gewordenen Freiburger Konzerthausrede dafür, "Säkularität nicht unter dem Aspekt des Mangels, sondern unter dem Aspekt der Chance zu sehen".
Die Grenzen von Regeln und Richtlinien
Er bezog sich auf den renommierten deutschen Soziologen Hartmut Rosa, der die Lebenszufriedenheit der Menschen in engem Zusammenhang mit deren Möglichkeit zu demokratischer Mitsprache und politischer Teilhabe sieht. Dies gelte auch in Bereich der Kirche: Viele Menschen wollten heute kirchliches Leben nicht nur im Sinne bestehender Regeln und Richtlinien konsumieren, sondern dieses Leben aktiv mitgestalten, schrieb Schwarz. So unverzichtbar sie auch seien - Regeln und Gesetze dürften Menschen weder ausschließen noch verurteilen. "Ich denke hier besonders an die Debatte um 'Geschiedene und Wiederverheiratete'", sprach der Bischof ein innerkirchlich "heißes Eisen" an. Und fügte kritisch hinzu: Heute habe man - sowohl im politischen als auch kirchlichen Kontext - "sehr oft den Eindruck, dass die Menschen zu Erfüllungssklaven von gesetzlichen Vorschriften geworden sind".
Einer sich auf Säkularität einlassenden Kirche stehe es gut an, "das Gemeinsame statt des Trennenden, eher die Inklusion als die Exklusion zu betonen", riet Schwarz.
Hochkarätige Autoren
Der Sammelband "Ambivalenzen. Spannungslinien zwischen Kirche und Gesellschaft" erschien anlässlich des 80. Geburtstages von Luitgard Derschmidt. Von 2003 bis 2012 war sie Präsidentin der KAÖ, davor 16 Jahre Präsidentin der Katholischen Aktion Salzburg, Leiterin des Familienwerks in Salzburg und beratende Expertin im Familienministerium. In der Katholischen Aktion ist Derschmidt nach wie vor aktiv: Sie leitet das Forum Beziehung, Ehe und Familie der KAÖ und setzt sich dabei für eine zeit- und evangeliumsgemäße Ehe- und Familienpastoral ein.
"Beziehungsweisen" lautet demgemäß auch einer von drei Abschnitten, in die der Sammelband unterteilt ist; die beiden anderen: "Aufgabe der Kirche" und "Kirche im Schatten ihrer Vergangenheit". Die Herausgeber Uta und Friedemann Derschmidt sowie Karin Schneider gewannen als Autorinnen und Autoren eine Reihe renommierter Persönlichkeiten und Fachleute: neben den Bischöfen Benno Elbs und Alois Schwarz u.a. auch dessen Amtskollegen Manfred Scheuer, Altbischof Maximilian Aichern, Paul Zulehner, Gotthard Fuchs, Alfred Noll, Christian Friesl, Regina Polak, David Steindl-Rast und Carla Amina Baghajati.
Das Anfang September im Salzburger Verlag Anton Pustet erschienene Buch "Ambivalenzen. Spannungslinien zwischen Kirche und Gesellschaft" umfasst 274 Seiten und kostet 28 Euro.
Quelle: kathpress