Stephansdom-Katakomben: "Der Tod macht alles gleich ..."
Die Katakomben im Stephansdom zählen zu den touristischen Höhepunkten in Wien. Das war freilich nicht immer so. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die Grüfte unter dem Dom für die Allgemeinheit überhaupt gesperrt, was illegale Besuche allerdings umso reizvoller machte. Darauf hat die Leiterin des Kardinal König-Archivs und frühere Chefin des Wiener Erzbischöflichen Diözesanarchivs, Annemarie Fenzl, hingewiesen.
In einem Beitrag für die August-Ausgabe des Magazins des Vereins "Unser Stephansdom" schreibt Fenzl, dass es in der Zeit der offiziellen Sperre der Katakomben - soweit bekannt - nur zwei Menschen gelungen war, dieses Verbot zu durchbrechen. Die eine war die englische Weltreisende und Schriftstellerin Frances Milton Trollope (1779-1863), der andere Adalbert Stifter (1805-1868), einer der bedeutendsten Autoren des Biedermeiers. Beide haben ihre Eindrücke in literarischer Form hinterlassen.
Trollope gelangte 1836 in die Katakomben. Sie publizierte ihre Eindrücke in dem 1838 erschienenen Buch über "Wien und die Österreicher". Darin schreibt sie wörtlich: "(...) aus irgendeiner eigentümlichen Beschaffenheit der Luft (...) findet die Zersetzung, welche gewöhnlich auf den Tod folgt, hier nicht statt. Stattdessen ist die Haut zu dickem Leder eingetrocknet, während die Gestalt und in vielen Fällen auch die Züge geradeso unverändert sind, um die grinsende Ähnlichkeit mit uns selbst so ergreifend und entsetzlich als möglich zu machen (...)."
Dazu kam die durch Gewohnheit offensichtliche Rohheit des Führers, der die seltsame Besucherin ordentlich erschrecken wollte: "(...) so fasste er einen dieser kläglichen Überreste eines menschlichen Wesens an der Gurgel, hob die Leiche vor unseren Augen empor, ließ sie vor uns aufrecht stehen, schwenkte dabei seine Fackel so, dass wir sie in ihrer ganzen grässlichen Hässlichkeit sehen konnten und verbreitete sich dabei über ihre Höhe und guten Proportionen, dann ließ er die rasselnde Leiche vor unseren Augen hinfallen, hob eine andere auf, sagte, dass sie ein Frauenzimmer wäre, erhob dann eine dritte, stützte sie mit der Hand, womit er das Licht hielt, gegen seinen Körper und riss mit der anderen lange Streifen der vertrockneten Haut auf, um uns zu zeigen, wie zähe sie sei (...)."
Der Bericht der englischen Weltreisenden soll jedenfalls beim Österreichischen Hof und den kirchlichen Verantwortungsträgern ziemliches Missfallen erregt und zumindest eine konsequentere Sperrung der Katakomben zur Folge gehabt haben, wie Annemarie Fenzl berichtet.
"Die rührende Hilflosigkeit eines Toten"
Trotzdem schaffte es 1841 auch Adalbert Stifter in die Grüfte, den er in dem Essay "Ein Gang durch die Katakomben" verarbeitete. Darin steht zu lesen: "An einem viereckigen, machtvoll großen Pfeiler stand ein Sarg, ein einziger in diesem Gewölbe, als wäre er absichtlich hierhergebracht und geöffnet worden und dann stehen gelassen; denn wirklich lag sein Deckel nebenan und zwischen den Brettern (...) lag der einstige Bewohner dieses gezimmerten Hauses, eine Frau - ach! Wer war sie - mit welchem Pompe mag sie einst begraben worden sein! Und in welchem Zustande liegt sie jetzt da! Bloßgegeben dem Blicke jedes Beschauers, unverwahrt vor rohen Händen; das Antlitz und der Körper ist wunderbar erhalten - in diese verschlossenen Räume muss die Verwesung nicht haben eindringen können (...) die Züge des Gesichts sind erkennbar, die Glieder des Körpers sind da, aber die züchtige Hülle desselben ist verstaubt und zerrissen, nur einige schmutzig schwarze Lappen liegen um die Glieder und verhüllen sie dürftig, auf einem Fuße schlottert ein schwarzer seidener Strumpf, der andere ist nackt, die Haare liegen wirr und staubig und Fetzen eines schwarzen Schleiers ziehen sich seitwärts und kleben aneinander wie ein gedrehter Strick. Diese Zerfetzung des Anzuges und die Unordnung, gleichsam wie eine Art von Liederlichkeit, zeigte mir ins Herz schneidend die rührende Hilflosigkeit eines Toten und kontrastierte fürchterlich mit der Heiligkeit einer Leiche.
Ich legte mit der Spitze meines Stockes die Reste des gewiss einst prunkenden Anzuges, so anständig als es noch möglich war, über die Glieder und leuchtete dann der vergessenen Toten ins Antlitz. Es war im Todeskampfe und durch die nachher wirkenden Naturkräfte verzogen und in dieser, dem Menschenangesichte gewaltsamen Lage erstarrt (...)."
Stifter kann nicht gleichgültig bleiben, angesichts dieses Anblicks, er schließt einige Überlegungen an: "Wer mag diese Tote vor meinen Augen - wer mag sie einst gewesen sein? Welchen Unterschied auch die Menschen im Leben machen, wie nichtigem Flitter sie auch Wert geben, ja wie sehr sie sich auch bemühen, diesen Unterschied bis über das Grab hinaus fortzupflanzen: der Tod macht alles gleich. (...) Wer weiß, mit welchem Ansehen und mit welchen Kosten es diese Tote dahin gebracht hatte, dass sie dereinst hier, in diesem Asyl der Reichen und Vornehmen, ruhen möge. Und nun steht ein Mann vor ihr, der vielleicht bei ihrem Leben sich kaum ihrer Schwelle hätte nähern dürfen, und legt, nicht mit der Hand, weil's ihn ekelt, sondern mit der Spitze seines Stockes einige Lappen zurecht, dass sie ihren Leib bedecken (...)."
Die größte Nähe zum Heiligtum
Wie entstanden aber die Katakomben? - Im Mittelalter waren fast alle Kirchen von einem Friedhof umgeben. Denn für jeden Christen war es wichtig, nach seinem Tod einen Grabplatz im Kircheninneren zu erhalten, um am Ende der Zeiten seiner Auferstehung sicher sein zu können. Da sich diese Hoffnung aus Platzmangel zunehmend nicht erfüllen konnte, suchte man eben die ewige Ruhe außen, möglichst nahe, im Schatten der Kirche. Denn einem uralten Volksglauben folgend, ermöglichte die größte Nähe zum Heiligtum die "schnellste" Auferstehung.
Im Falle des Stephansdomes mussten die kirchlich Verantwortlichen schließlich zur Verminderung der immer latenten Seuchengefahr im Jahr 1732 unter Kaiser Karl VI. der offiziellen Sperre des "Stephansfreithofes" zustimmen. In der Folge entstanden unter der Kirche und auf einem Teil des alten Friedhofsgeländes die sogenannten unterirdischen "neuen Grüfte", die im Laufe der Zeit die romantische Bezeichnung "Katakomben" erhielten.
Durch die Umstände der zahlreichen Bestattungen, deren hygienische Voraussetzungen alles anderes als ideal waren, erließ Kaiser Joseph II. im Jahr 1783 ein endgültiges Verbot aller Beisetzungen an diesem damals bereits überfüllten Ort. Bis zu diesem Verbot waren hier an die 11.000 Wienerinnen und Wiener beigesetzt worden. Am 11. Dezember 1783 erfolgte die offizielle Schließung der Grüfte. Nach und nach übernahmen die Kommunalfriedhöfe außerhalb des Linienwalls die Aufgaben des alten Stephansfreithofes.
Im Volk hielten sich hartnäckig allerlei schreckliche Gerüchte über diesen unheimlichen Ort unter dem Dom. Von da an war das Betreten der Katakomben nur mehr den Totenknechten gestattet und die folgenden rund 50 Jahre waren die unterirdischen Räume zumindest offiziell geschlossen. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts ordnete Kardinal Joseph Othmar Rauscher eine der Würde der dort Bestatteten entsprechende Neuordnung an.
Quelle: kathpress