Ethiker Rosenberger fordert Kostenwahrheit im Tourismus
Die Politik muss für Kostenwahrheit im Tourismus sorgen: "Klimaschädliche Verkehrsmittel müssen für die entstehenden Umweltschäden zur Kasse gebeten werden", fordert der Linzer Theologieprofessor und diözesane Umweltreferent Michael Rosenberger. Dann sei das ökologische Reisen auch das billigere Reisen. Im Interview mit Kathpress im Vorfeld des Weltpilgertages (25. Juli) prangerte Rosenberger auch die "immer weiter zunehmende Konzentration auf einige wenige Reiseziele, die alle sehen wollen, weil man sie angeblich gesehen haben muss", an und bezeichnete das Pilgern als eine der ökologischsten Arten des Reisens, wobei der Kirche hier allerdings Versäumnisse vorzuwerfen seien.
Wenn klimaverträgliche Formen des Reisens gefördert werden sollen, müssen sie einen finanziellen und zeitlichen Vorteil erbringen, hielt der Moraltheologe und Prorektor der Katholischen Privat-Universität Linz fest. "Hätten wir z.B. ein allgemeines Tempolimit von 100 km/h auf den europäischen Autobahnen, würde das Verreisen mit dem Auto im Vergleich zum Zug weniger attraktiv." Und nebenbei würden die Treibhausgas-Emissionen deutlich sinken. Auch beim Fliegen brauche es mehr Lenkungsmut der Politik: "Solange Flüge von den allermeisten Steuern befreit sind, ist es häufig billiger, nach London zu fliegen als mit den ÖBB von Wien nach Tirol zu reisen." Gerade bei kürzeren Flugdistanzen sei der Preis "das Zünglein an der Waage", so Rosenberger.
Ein Dorn im Auge ist dem Ethiker die Tendenz, "dass heute in allen Lebensbereichen die 'Top Ten' immer mehr Zulauf gewinnen, alle anderen aber verlieren" - auch im Tourismus. Alle Welt rennt auf den Großglockner, während andere, ähnlich hohe Berggipfel menschenleer sind. Auch zur überfüllten Getreidegasse in Salzburg gäbe es attraktive Alternativen, meint Rosenberger. Ökologisch wie touristisch betrachtet sei ein solchen "Top-Ten-Abhaken" eine "fatale Entwicklung"; "die Top Ten zerstören sich auf Dauer selbst".
Hilft Corona dem sanften Tourismus?
Ob die Corona-Pandemie einen anhaltenden Trend zum "entschleunigten" Reisen hin zu mehr Inlandszielen statt Fernreisen fördert, wagt der Theologe nicht zu prognostizieren: Schätzungen von Fachleuten, wonach durch die Krise dauerhaft mindestens 20 Prozent weniger Urlaubsflüge zu erwarten sind, seien zuletzt nach unten auf um die zehn Prozent revidiert worden. "Als Ethiker würde ich sagen: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier", sagte Rosenberger. Die Unterbrechung seiner Urlaubsgewohnheiten während der Pandemie könne Veränderungen bewirken - sofern sich jemand ganz bewusst überlege, ob er nach Corona wieder weitermachen will wie vorher, oder ob er die Unterbrechung als Gelegenheit zu einer Veränderung ergreift. "Letzteres wünsche ich mir und versuche auch Bewusstsein dafür zu wecken", sagte Rosenberger. "Denn wenn eine Krise nicht genutzt wird, um Veränderungen herbeizuführen, ist sie sinnlos gewesen."
Mit Ärger nimmt der Moraltheologe zur Kenntnis, dass im herrschenden Pilgerboom regionale Touristikbüros viel mehr Akteure sind als die Kirchen. "Nichts gegen die Tourismusbranche - aber es müsste hier ein viel stärkeres Miteinander geben. Dass es dazu nicht kommt, liegt meines Erachtens vor allem an den Kirchen." Letztere hätten den Pilgerboom "noch nicht einmal im Ansatz verstanden", bemängelt Rosenberger. In Österreich seien pro Jahr mindestens so viele Menschen auf Pilgerwegen unterwegs wie in sämtlichen Sonntagsgottesdiensten. Dennoch gebe es pro Diözese "maximal eine hauptamtliche Person für die Pilgerinnen- und Pilgerseelsorge, aber hunderte für die Pfarrseelsorge".
Dezentralität des Pilgerwesens nützen
Rosenberger hält ein schlüssiges Gesamtkonzept für dringend erforderlich, "um Pilgernde die Natur mit Leib und Seele spüren und entdecken zu lassen". Allerdings: "Wenn ein Begleitfahrzeug das üppige Gepäck der PilgerInnen von Quartier zu Quartier fährt und die Pilgernden jeden Abend ein Vier-Gang-Menü und eine Sauna haben wollen, dann wird der Geist des Pilgerns ebenso schnell zerstört wie der ökologische Fußabdruck vergrößert."
Die katholische Kirche könnte die erstaunliche Dezentralität ihres Pilgerwesens viel gezielter einsetzen, regte Rosenberger an: "Es müssen nicht alle nach Lourdes oder Santiago pilgern!" Anders als Judentum und Islam gebe es im Christentum tausende Wallfahrtskirchen in allen Ländern der Erde mit noch mehr Wegen dorthin. "Das ist ein Schatz", betonte der Theologe. Auf dem Jakobsweg im "Wettrennen um die knappen Pilgerquartiere" unterwegs zu sein sei während der Hochsaison in keiner Weise spirituell erbaulich. "Und der ökologische Schaden eines Massenwanderwegs ist auch nicht zu unterschätzen."
Dass die Kirche durchaus lernfähig ist, beweisen nach den Worten des Ethikers umweltsensibel durchgeführte Großveranstaltungen jüngeren Datums. Der Weltjugendtag in Köln 2006 sei das erste weltkirchliche Event mit EMAS-Zertifizierung gewesen, also mit einem von der EU geprüften Umweltmanagement-System. Und unter Papst Franziskus habe sich der kirchliche Trend zur Ökologisierung solcher Großveranstaltungen noch verstärkt. "Daran könnte sich manche Sportveranstaltung wie die jüngste Europameisterschaft im Fußball noch viel abschauen", befand Rosenberger.
Quelle: kathpress