Ethikerin: Suizidbeihilfe nicht den Ärzten umhängen
Während die Regierung weiter an einem Regelwerk für den assistierten Suizid feilt, mehren sich Warnungen, was dessen Ausformulierung betrifft. Nach Ansicht der Ethikerin Susanne Kummer sollte vor allem darauf geachtet werden, Suizidbeihilfe nicht als ärztliche Leistung zu definieren. "Knackpunkt wird sein, inwieweit der Gesetzgeber die Ärzteschaft zur Mitwirkung verpflichten will. Davon ist dringend abzuraten. Denn das wäre ein Tabubruch für den ärztlichen Auftrag. Dieser besteht darin, zu begleiten, Schmerzen zu lindern, aber nicht den Tod zu verursachen", mahnte die Geschäftsführerin des kirchlichen Bioethik-Instituts IMABE in Wien am Mittwoch im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress.
Anders als angekündigt, wird in Österreich erst im Herbst ein Gesetzesvorschlag zur Suizidbeihilfe vorliegen, deren bisher ausnahmsloses Verbot der Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit Wirksamkeit ab 2022 aufgehoben hat. Zeit für eine Parlamentsdebatte bleibt somit kaum, da die Abstimmung über ein Gesetz im Nationalrat ebenfalls bereits im Herbst stattfinden müsste, damit ein etwaiges Regelwerk noch vor Jahresende auch den Bundesrat passieren kann. Als Diskussionsgrundlage für die Gesetzesformulierung hatte das Justizministerium am Montag den Abschlussbericht des Ende April stattgefundenen "Dialogforums Sterbehilfe" präsentiert.
Auch wenn es künftig einzelne Ärzte geben wird, die Unterstützung beim Suizid leisten werden, lehnt die Österreichische Ärztekammer eine Einbindung des Ärztestandes in den Prozess der Sterbehilfe ab. Für Kummer aus guten Gründen: "Es wäre demokratiepolitisch höchst bedenklich, wenn der Staat Ärzte oder Apotheker nun quasi strukturell verpflichten würde, sich am Prozess von Selbsttötungen zu beteiligen - sei es in der Begutachtung, Verschreibung von tödlichen Präparaten oder im Falle der Apotheker des Aushändigens von Giften", betonte die Ethikerin. Ein liberaler Rechtsstaat müsse eine freie Berufsgruppe respektieren, "deren Ethos sich dadurch definiert, dass man Menschen im Leben beisteht".
Prinzip des gelindesten Eingriffs
"Umhängen" sollte man die Durchführung von Selbsttötungen den Ärzten auch deshalb nicht, da eine ganze Reihe von ethischen Grundprinzipien der Medizin damit ausgehebelt würden. Darunter etwa jenes, dass bei einer medizinischen Indikation der Nutzen einer Therapie für den Patienten größer sein muss als der Schaden - die Verhältnismäßigkeit muss stimmen. In der Praxis bedeutet dies, dass immer zuerst die gelinderen Therapiemitteln angewendet werden müssen, um dem Leiden des Patienten Abhilfe zu schaffen.
Wenn ein Patient sich eine letztlich ihn schädigende Therapie wünscht, würde der Arzt gegen seine Sorgfaltspflicht verstoßen, sollte er diesem Wunsch nachkommen, erklärte Kummer und stellte einen Vergleich an: "Bei einer Knieabnützung verschreibt der Arzt zunächst Physiotherapie, vielleicht gibt er eine Injektion und nimmt schlimmstenfalls später eine Operation für eine Knieprothese vor. Sollte der Patient kommen und sagen 'Ich habe Knieschmerzen, amputieren Sie mir das Bein!' ist das keine medizinische Indikation, weshalb der Arzt dies zurecht ablehnen wird." Im Falle der Beihilfe zur Selbsttötung sei der Eingriff jedoch der denkbar "Selbstschädigendste" - nämlich die Tötung. "Für diese gibt es niemals eine medizinische Indikation", betonte die Expertin.
Wie Ärzte und auch Pflegende über Sterbehilfe denken, hängt mit deren Kenntnissen über Palliative Care zusammen, berichtete Kummer. Es gibt Anzeichen, dass die Zustimmung zu Suizidbeihilfe steigt, je geringer das Wissen um Palliative Care ist. Die IMABE-Geschäftsführerin zog daraus folgenden Schluss: "Offenbar fühlen sich Ärzte und Pflegende mit geringen Kenntnissen über Palliative Care leichter überfordert angesichts der Dramatik mancher Fälle und meinen, man könne diesen Patienten nichts mehr anbieten. Suizidassistenz scheint dann das einzig probate Mittel zu sein."
Sichtbar werde hier eine "Engführung" der Diskussion, "denn es wird so getan, als ob es nur zwei Alternativen gibt, die der Lebensverlängerung um jeden Preis oder die Sorge darum, dass sich jemand das Leben nehmen kann". Eine derartige Dichotomie aufzubauen sei "realitätsfremd, denn so passiert Sterben ja nicht", betonte Kummer. Dringend notwendig sei in der aktuellen Situation daher, Menschen im Gesundheitswesen gründlich in Palliative Care auszubilden.
Palliativmediziner: Gewissenskonflikte absehbar
Wie man in der Palliativmedizin mit dem Sterben umgeht und dass es dabei "weder Tabus noch Verurteilungen" gibt, berichtete der Internist Gerold Muhri, Geschäftsführender Oberarzt für Palliativmedizin und Hospiz des Krankenhauses der Elisabethinen Graz, in der Juni-Ausgabe der Zeitschrift der Ärztekammer Steiermark. Er sehe es als "Privileg und Auszeichnung", wenn er von einem Patienten mit dessen Tötungswunsch "belastet" werde, zeichne dies doch eine "ehrliche und tragfähige Patienten-Arzt-Beziehung" aus. An deren Beginn stehe fast immer zunächst der "zutiefst verzweifelte Mensch".
Wichtig seien aus seiner Perspektive vor allem die Zuwendung, offene und ehrliche Gespräche sowie Zeit, was auf Palliativstationen sehr wohl geboten werde. "Auf keiner anderen Station wird mit Patienten und Angehörigen so viel gelacht." Ängste und Beschwerden wie etwa die Schmerzen könnten schrittweise und gemeinsam angegangen und die Reaktion darauf geplant werden, sei doch im Palliativzimmer der Patient "Chef" und gebe das Tempo vor. Er könne dabei Therapien ablehnen, nur das Einfordern nicht indizierter Therapien gehe - bisher - nicht. Trotz der Krankheit könne dabei "viel Entscheidungsspielraum" und Erleichterung geschaffen werden, denn: "Noch nie hatten wir mehr effiziente Behandlungsoptionen als heute", betonte Muhri.
Den "Wunsch, beim Sterben nachzuhelfen", kenne man auf der Palliativstation durchaus, und häufig höre man dabei einen "Hilferuf, so nicht mehr leben zu wollen" heraus. Was den Internisten jedoch beschäftigt: "Was geschieht, wenn dieser Hilferuf falsch formuliert oder falsch verstanden wurde - und nach Umsetzung der Assistierende seinen Fehler erkennt?" Ab 2022 drohe nämlich ein Gewissenskonflikt, wenn Patienten Tötungsassistenz einfordern. Zwar sei die paternalistische Medizin Geschichte, schrieb Muhri, "gelegentlich wissen wir als Profis aber doch mehr: Die Kostbarkeit der letzten Stunden und Tage - eine einzigartige Lebenszeit, in der Verzeihung, Heilung, Vollendung geschehen kann. Für den Sterbenden. Und die, die weiterleben".
Das Schlussplädoyer des Grazer Oberarztes: "Die Auslöschung der Existenz eines Menschen, das kann niemals eine gute Symptomlinderung sein. Ich meine, dass Tötungsaktionen und Beihilfe dazu einem Arzt weder zumutbar noch seiner Heilkunst würdig ist." Die "rote Linie" sei für ihn der assistierte Suizid per se, betonte er. "Weil ich ihn niemals als unstrittig endgültigen letzten Patientenwillen sehe. Weil die Zeit bis zum natürlichen Tod unheimlich kostbar und einzigartig ist. Weil es Therapien gibt, die Leid tragbarer machen. Und weil durch den natürlichen Tod keine künstlichen Wunden für Überlebende entstehen."
Quelle: kathpress