Tück: Kircheneinheit in Vielfalt "zentralistisch kaum zu lösen"
Der synodale Prozess, den Papst Franziskus der Weltkirche bis Oktober 2023 verordnet hat, braucht "kluge Navigation", wenn er über ein "unverbindliches Brainstorming von Reformwünschen" hinausgehen soll. Nach Einschätzung des Wiener Dogmatikprofessors Jan-Heiner Tück steigt die Chance auf Erfolg, "je klarer die Struktur, je deutlicher die Zielvorgaben" seien. Die katholische Kirche umfasse unterschiedliche kulturelle Großräume mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und auch Glaubensakzentuierungen in den Kontinenten und sogar innerhalb Europas. "Die Einheit der Kirche zu wahren, ohne die Vielheit zu beschneiden, ist eine schwierige Aufgabe, die zentralistisch kaum noch zu lösen ist", so Tück.
Der Theologe äußerte sich in einem Essay in der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ; 7.6.) über Synodalität, einen im Pontifikat von Franziskus seit Anbeginn hochgehaltenen Begriff. Auch wenn das entsprechende Dokument dazu aus Rom "der Versuchung mancher Hirten eine Absage erteilt, die Gläubigen als blökende Schafe zu behandeln", sei Synodalität nach Franziskus nicht mit dem Parlamentarismus moderner Demokratien zu verwechseln, stellte Tück klar. Die Ausübung bischöflicher Autorität solle durch synodale Verfahren besser abgestützt werden, "politische Rezepturen zur Machtdelegation auf Zeit sind damit aber nicht angestrebt". Und bei der Verantwortung für den nachhaltigen Erfolg des Prozesses sei Franziskus als Papst und Brückenbauer selbst gefragt.
Mit Blick auf den seit eineinhalb Jahren in Deutschland durchgeführten "Synodalen Weg" warnte Tück auch vor überzogenen Erwartungen: Manche der dortigen Akteure hätten den nun vorgezeichneten Weg hin zu einer Weltbischofssynode "emphatisch begrüßt". In Deutschland werde bereits praktiziert, was Rom nun übernehme. Dazu der aus Deutschland stammende Theologe: In der Tat habe der Synodale Weg ein singuläres Diskursformat geschaffen. Laien und Bischöfe diskutierten dabei in Deutschland auf gleicher Augenhöhe. Der Skandal des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker und das Problem der systemischen Vertuschung durch Bischöfe sollten durch Strukturreformen und Fortschreibungen der Sexualmoral aufgearbeitet werden.
Die Rede von der Vorreiterrolle "klingt allerdings etwas vollmundig", gab Tück zu bedenken. Franziskus habe bereits von Synodalität gesprochen, als in Deutschland davon noch kaum die Rede war. Überdies sei der Rahmen der Weltsynode weiter gesteckt als der Synodale Weg: Es gehe um eine Erneuerung des Glaubens, die gerade auch die Missionsländer Westeuropas erfassen soll. Tück nannte es "nicht unwahrscheinlich, dass Franziskus die Taktik verfolgt, den Synodalen Weg der Kirche in Deutschland und seine Fokussierung auf Macht- und Strukturfragen universalkirchlich einzuhegen."
Aus den USA, Italien und anderswo seien bereits Warnungen zu hören, die Kirche in Deutschland stehe am Rande eines Schismas. "Heiße Eisen" wie Frauenpriesterweihe, Homosexuellensegnung oder Demokratisierung der Kirche sorgten für "Zündstoff". Und die Bewegung "Maria 2.0" habe - wenn auch abseits des Synodalen Wegs - durch Thesenanschläge an Kirchenportale "symbolpolitisch mit dem Feuer einer zweiten Reformation gespielt", schrieb der Dogmatiker. Die Rede vom Schisma sei überzogen, aber die Spannungen hätten zugenommen, seitdem nicht nur Theologen, sondern auch einzelne Bischöfe in Deutschland römische Vorgaben scharf kritisierten. "Ob Aufrufe zum 'Ungehorsam' fruchtbare Reformen hervorbringen können, ist zweifelhaft", merkte Tück an.
Für Papst Franziskus sei die geistliche Dimension des synodalen Prozesses zentral. Dadurch wolle er die "einseitige Fokussierung auf Strukturfragen produktiv öffnen", erklärte Tück. "Man sollte das nicht gleich als spirituelle Immunisierungsstrategie abtun, denn die Kirche lebt von Quellen, die ihr vorausliegen."
"Enorme Chance" auch für Österreich
Auf mögliche Auswirkungen des synodalen Prozesses auf die Kirche in Österreich ging der Innsbrucker Pastoraltheologe Prof. Christian Bauer in der jüngsten Ausgabe der Wochenzeitung "Die Furche" ein. Der weltkirchliche Vorgang sei eine "enorme Chance". Die heimische katholische Kirche blicke momentan "noch weitgehend regungslos" auf die Nachfolgeregelung für Kardinal Christoph Schönborn als Wiener Erzbischof. Von wem auch immer müssten die "Hotspots innerkirchlicher Konflikte" diskursöffnend angegangen werden - die laut Bauer sind: Machtstrukturen, Priesteramt, Geschlechtergerechtigkeit und Sexualmoral.
Nichts weniger als eine "neue Phase ihrer Geschichte" könnte für die österreichische Kirche anbrechen, so der Pastoraltheologe. Auf eine vom Wiener Kardinal Franz König angeführte erste Reformphase nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) sei unter dem langen Doppelpontifikat der Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. eine zweite Phase des innerkirchlichen "Rollbacks" eingetreten - mit einigen für Österreich "verheerenden Personalentscheidungen" bei Bischofsernennungen der 1990er Jahre. Nach den durch Kardinal Hans Hermann Groer ausgelösten Turbulenzen sei die Kirche zwar "weitgehend befriedet, die traumatisierende Erfahrung jener Jahre wurde jedoch nie grundlegend aufgearbeitet und die systemischen Gründe der darauf folgenden kirchlichen Glaubwürdigkeitskrise sind seither nie wirklich angegangen worden", warnte Bauer.
Mit Papst Franziskus beginne nun jedoch eine neue Phase der Nachkonzilszeit, die auch hierzulande einen Paradigmenwechsel von einer klerikalen zu einer synodalen Kirche einleiten könne. Bauer stellte den vielfach behaupteten Gegensatz zwischen kirchlichen Reformthemen und Evangelisierung in Abrede: "Kirchenreform ist vielmehr Evangelisierung - und zwar kirchliche Selbstevangelisierung im Geiste Jesu." Ziel müsse es sein, schon auf Pfarrebene spirituelle Tiefe mit pastoraler Weite zu verbinden. Schlussbemerkung Bauers: "Nicht nur der künftige Erzbischof von Wien sollte diese Chance nicht verstreichen lassen. Es könnte für ganze Generationen die letzte sein."
Quelle: Kathpress