Polak: "Islam-Landkarte" dominiert von politischem Interesse
Die "Islam-Landkarte" ist offensichtlich vom "politischen Interesse, dem Kampf gegen den Islamismus", dominiert und trägt "jedenfalls nicht dazu bei, ein ohnehin aufgeheiztes Klima zu deeskalieren". Diese Vorbehalte hat die Wiener Theologin Regina Polak im Interview der Kooperationsredaktion der Kirchenzeitungen über das vergangene Woche präsentierte Projekt der "Dokumentationsstelle Politischer Islam" geäußert. "Landkarten religiöser Gruppierungen sind religionswissenschaftlich durchaus üblich", zugleich sei Wissenschaft nie wertneutral und müsse Kontexte wie das Ansteigen von antimuslimischen Übergriffen berücksichtigen. Als Mangel erscheint Polak bei der Landkarte auch, dass sie offenbar ohne Beteiligung der Betroffenen erstellt wurde.
Die Theologin, die auch als OSZE-Sonderbeauftragte im Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung - mit Fokus auf Christen und Angehörige anderer Religionen - engagiert ist, erachtet das Interesse der von Integrationsministerin Susanne Raab eingesetzten Dokumentationsstelle Politischer Islam an Informationen über islamische Einrichtungen als grundsätzlich berechtigt. Der Kampf gegen den Islamismus, der bei der Präsentation der Islam-Landkarte als Ziel benannt wurde, sei "notwendig", dürfe aber keinen Generalverdacht gegenüber allen islamischen Einrichtungen fördern. Polak sprach von zwei akuten gesellschaftlichen Problemen - Islamfeindlichkeit und islamistischen Extremismus. "Beides gehört bearbeitet, nicht gegeneinander ausgespielt."
Die Theologin sprach sich auch für Methoden aus, die die Beforschten miteinbeziehen. "Menschen sind ja nicht Objekte, die man dokumentiert wie Gräser oder Gewächse." Man rede zu viel über Muslime, sie selbst kämen wenig zu Wort, befand Polak. Ihre Anfrage an die Islam-Landkarte" bleibe: "Welchen Beitrag leistet dieses Projekt zum Selbstverständnis einer Gesellschaft, in der Muslime und Nicht-Muslime miteinander leben müssen?"
Der Wiener Religionsphilosoph Kohki Totsuka wies demgegenüber darauf hin, dass nicht nur eine Seite für die aufgeheizte Stimmung verantwortlich ist. Er wunderte sich - wie es in den Kirchenzeitungen hieß - über das "Tamtam" rund um die Landkarte und darüber, dass die Islamische Glaubensgemeinschaft nicht schon längst so eine Karte erstellt hatte. Er wünsche sich freilich eine Landkarte, die den Islam nicht zum größten Problem des Landes stilisiert. "Die meisten Muslime sind ganz normale Leute." Hilfreich wäre laut Totsuka auch, wenn Regierungsmitglieder den Islam als selbstverständlichen Teil des Landes benennen würden.
"Auch Landkarte über 'politisches Christentum'?"
Der Religionspädagoge und Vorsitzende der Katholischen Aktion der Diözese Innsbruck, Klaus Heidegger, nahm - wie davor andere Kirchenvertreter - Anstoß an der Bezeichnung "politischer Islam". Damit werde dem berechtigten Anliegen, Islam und demokratiefeindlichen Islamismus auseinanderzuhalten, nicht gedient. "Zum anderen aber ist es theologischer Unsinn, Religion von Politik zu trennen", so Heidegger. "Jede Religion kann gar nicht anders, als auch politisch zu sein."
Man könne "zynisch nachfragen", setzte der Theologe fort: "Wird es bald eine Landkarte über 'politisches Christentum' geben, eine Abhandlung über die Tausenden Orte hierzulande, wo Glaube im Einsatz für die Schwächsten gelebt wird?" Müssten etwa kirchliche Einrichtungen darauf markiert werden, wenn sie eine menschenrechtswidrige Asylpolitik kritisieren?
Die Gesellschaft brauche ein kritisches Zusammenspiel von staatlich-politischen und demokratisch legitimierten Einrichtungen einerseits und NGOs wie Kirchen und Glaubensgemeinschaften andererseits - nie aber ein Ausspielen oder Gegeneinander, betonte Heidegger. Undifferenziertes "Islam-Bashing" helfen seiner Überzeugung nach ebenso wenig weiter wie "Vollgas-Aktionen" gegen die katholische Kirche.
"Wir erleben seit mehreren Jahren in Österreich zusehends, wie politische Akteure die Deutungshoheit über Religion erlangen wollen", kritisierte die Innsbrucker Theologin Michaela Quast-Neulinger gegenüber Kathpress. Dies betreffe nicht nur den Begriff "politischer Islam", der von Politikern "mit aller Vehemenz und wider alle Wissenschaftlichkeit zum absoluten Frame der Diskussion um den Islam gemacht werden soll". Das Kirche-Staat-Verhältnis werde immer mehr zum System von Lohn und Bestrafung umfunktioniert, so Quast-Neulinger. "Zuckerbrot" gebe es für brave Folgsamkeit, die "Peitsche" für Widerständigkeit.
Religionsrechtler mahnt Gleichheitsgrundsatz ein
Kritische Anfragen aus religionsrechtlicher Perspektive zur Islam-Landkarte stellte der am Wiener Institut für Rechtsphilosophie lehrende Stefan Schima in der aktuellen Ausgabe der "Furche" (2.6.2021): Er erinnerte daran, dass die meist mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) in Verbindung zu bringenden Eintragungen auf der Karte eine gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaft betreffen, die Begünstigungen etwa in Bezug auf das Steuerrecht, den Religionsunterricht und das Privatschulwesen genieße. Weiters seien anerkannte Religionsgemeinschaften auch vom Beobachtungsbereich der Bundessektenstelle befreit.
Schima mahnte hier den Gleichheitsgrundsatz ein. Die Dokumentationsstelle habe - dem widersprechend - den Weg eingeschlagen, der IGGÖ zurechenbare Einrichtungen im Hinblick auf sektenähnliche Strukturen hin zu beleuchten. Sauberer wäre es, diese Ausnahmeregelung abzuschaffen, so der Religionsrechtler: "Meines Erachtens sprechen nicht wenige Gründe dafür." Schima sieht auch in der Nichteinbeziehung der Betroffenen eine Ungleichbehandlung und erinnerte an die Aussage des lutherischen Bischofs Michael Chalupka, die Evangelische Kirche würde sich "eine Landkarte verbieten, in der ihre Einrichtungen oder gar Einrichtungen, die mit ihr nichts zu tun haben, vom Staat in die Öffentlichkeit gebracht werden". Auch seitens der katholischen Kirche hätte sich der Experte Ähnliches erwartet, wie er schrieb.
Abgesehen von rechtlichen Aspekten sei auch zu fragen, ob dem Anliegen, dem politischen Islam Einhalt zu gebieten, durch eine derartige "Landkarte" Rechnung getragen wird. Schima meinte, Interessenten an derartigen Einrichtungen würden nicht unbedingt von diesen Beschreibungen abgeschreckt: "Terrornahe Moscheen sollten nicht auf eine Landkarte gesetzt werden dürfen, sondern geschlossen werden müssen."
Quelle: Kathpress