Neue österreichische Islam-Landkarte sorgt für Streit
Einen Einblick in die Szene der mehr als 400 islamischen Vereine in Österreich bietet eine neue "Islam-Landkarte" der Universität Wien, die seit kurzem online ist. Die genaue geografische Lage von Moscheen und Vereinssitzen sind darauf ebenso abrufbar wie Kurzbeschreibungen der mitgliederstärksten islamischen Organisationen. Letztere sorgen mit der darin enthaltenen deutlichen Kritik an den demokratiepolitischen Einstellungen mancher Islam-Vereine und der Rolle ausländischer Zentren jedoch bereits für Streit.
Insbesondere die Islamische Föderation (IF) - ihr wird auch der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ), Fuat Sanac, zugerechnet - weist die in der Online-Datenbank zur Verfügung stehende Kurzbeschreibung ihrer Organisation zurück. Die mit etwa 60 Vereinen zweitgrößte türkisch-islamische Organisation des Landes ist laut "Islam-Landkarte" die "Österreich-Sektion der türkischen Milli-Görüs-Bewegung". Weiters heißt es: "Milli Görüs distanziert sich zwar von Gewalt, aber ihr sehr politisch orientiertes Theologieverständnis ist auf die Etablierung einer islamischen Rechts- und Gesellschaftsordnung ausgerichtet. In vielen Schriften werden Themen wie Integration und Dialog sehr kritisch betrachtet und Muslime vor der Gefahr der Assimilierung gewarnt." Der 2011 verstorbene Milli-Görüs-Gründer Necmettin Erbakan habe das Modell einer säkularen Demokratie abgelehnt.
IF-Pressesprecher Yakup Gecgel warf dem für die "Islam-Landkarte" verantwortlichen Islamforscher Ednan Aslan von der Universität Wien in einem Bericht der "Wiener Zeitung" vom 15. Februar "unwissenschaftliche Festlegungen" vor, "die mit der Realität nichts zu tun haben". Gecgel versicherte: "Wir akzeptieren den säkularen Staat, er ist für uns keine neue Welt."
Auch IGGiÖ-Präsident Sanac selbst betonte in dem Bericht, dass die IF nach den Regeln des säkularen Staates arbeite. Er könne aber nicht für einzelne islamische Organisationen sprechen. "Jeder hat ein anderes Islam-Verständnis, auch meines passt vielleicht jemand anderem nicht." Wenn jemand in Österreich gesetzeswidrige Dinge tue, müsse der Rechtsstaat einschreiten.
In den Kurzinfos der "Islam-Landkarte" enthaltene Kritik an der Rolle ausländischer Zentren versuchte Sanac ebenfalls zu entkräften. Wie bei anderen Religionen seien alle Organisationen weltweit vernetzt. Die Vereinigungen hätten ihre Wurzeln im Ausland, seien aber nicht vom Ausland abhängig. "Niemand will von außen geleitet werden. Sympathie ist nicht Abhängigkeit."
Ednan Aslan wiederum argumentiert, dass manche islamischen Organisationen ihren Mitgliedern aus ideologischen Gründen ein selbstständiges Denken verwehrten. "Da ist es schwer, einen Islam europäischer Prägung zu etablieren, denn solche Zentren betrachten das als Gefährdung ihrer eigenen Existenz", erklärte der Islamforscher gegenüber der "Wiener Zeitung". Gerade junge Menschen könnten sich von solchen Zentren nur schwer abheben.
Hinzu komme, dass der Islam in der Türkei derzeit eine theologische Rückwärtsentwicklung mache; die Theologie würde "traditioneller", während gleichzeitig das Internet für die Jugend an Wert gewinne, so Aslan. "Das ist eine eigene Welt. Dort ist ein Wandel wahrzunehmen. Die Internet-Community arbeitet oft intensiver."
Offene Diskussion
"Wir wollen auch kritisch sein, denn eine Diskussion in der Isolation ist nicht günstig für die Integration der Muslime", so Aslan. Muslime stünden in Österreich immer noch zu sehr am Rand der Gesellschaft. Eine offene Diskussion unter Einbindung der Imame sei in dieser Situation notwendig.
Die seit 1912 bestehende Anerkennung des Islam betrachtet Aslan als Chance, die man auch wahrnehmen müsse. "Es besteht die Gefahr, dass man jeden Diskurs verbietet und die Entwicklung als abgeschlossen betrachtet. Wir brauchen einen Diskurs von außen, der die Muslime aus ihrem Schlaf herausholt."
Quelle: Kathpress