Theologe Lintner: Kirchliche Sexualmoral bis heute eine "Baustelle"
Die kirchliche Sexual- und Ehemoral war nie "fix und fertig", sondern "immer schon" und bis heute eine "Baustelle": Das hat der Südtiroler Moraltheologe Martin Lintner in einem Gastbeitrag in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung "Die Furche" betont. Lintner zog in seinem Beitrag Bilanz zu fünf Jahren "Amoris laetitia" - und unterstrich, dass sich die Bischofskonferenzen, darunter auch die österreichische, zu wenig hinter Papst Franziskus und sein Anliegen gestellt hätten, Erleichterungen für den Sakramentenempfang von wiederverheiratet Geschiedenen zu erwirken. Die Bischöfe hätten verabsäumt, "entschlossen festzuhalten und zu vermitteln, dass der generelle Ausschluss dieser Paare von den Sakramenten nach Amoris laetitia nicht mehr der päpstlichen Lehre entspricht."
Die Rezeption des päpstlichen Schreibens, das am 8. April 2016 veröffentlicht und von Kardinal Christoph Schönborn der Öffentlichkeit präsentiert wurde, stand von Beginn an "unter dem Zeichen des Widerstandes gegen jegliche Weiterentwicklung der katholischen Sexualmoral", führte Lintner aus. Im Fokus des Streits und der kritischen Anfragen - u. a. jener der vier Kardinäle Walter Brandmüller, Raymond Burke, Carlo Caffarra und Joachim Meisner - stand vor allem das achte Kapitel des Schreibens und die umstrittene Fußnote 351, in der Franziskus festhält, dass diesen Paaren die Hilfe der Kirche zusteht - und "in gewissen Fällen" auch "die Hilfe von Sakramenten" nicht verwehrt werden dürfe.
Franziskus habe es verstanden, sich "nicht in ein kleinliches theologisches Hick-Hack hineinziehen" zu lassen - dennoch bleibe nach fünf Jahren ein "fader Nachgeschmack" zurück, so Lintner, "und sei es nur die Verunsicherung bei vielen darüber, was denn jetzt Sache sei." Tatsächlich scheine es im Rückblick so, dass dem päpstlichen Schreiben "durch die konservativen Diskussionen (...) 'die Flügel gestutzt' worden sind." - Dabei hätte "Amoris laetitia" das Zeug "zur Überwindung des jahrhundertelangen katholischen Sexualpessimismus", indem es der geschlechtlichen Gemeinschaft der Menschen in all ihren heute gängigen und gelebten Formen eine "spirituelle Dimension" zuspricht, führte der Theologe weiter aus.
Die jüngste Debatte um das vatikanische "Nein" zur Segnung homosexueller Partnerschaften indes zeuge davon, "dass das kirchlich Denken sich weiterhin in einem Dilemma gefangen ist" und man sich nicht dazu durchringen könne, "dass nicht allein die Fortpflanzung die sexuelle Intimität legitimiert und dass Geschlechtsgemeinschaft als Ausdruck von Zuneigung und Liebe auch in nichtehelichen Lebensgemeinschaften zu würdigen ist." Im Rückblick auf fünf Jahre "Amoris laetitia" müsse man daher nüchtern festhalten, "dass der innerkirchliche Richtungskampf um die Reform der katholischen Sexual- und Ehemoral noch nicht geschlagen ist", so der an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen lehrende Theologe und Ordenspriester.
Doch es bestehe Hoffnung, so Lintner abschließend unter Verweis auf drei aktuelle Publikationen: "Vom Vorrang der Liebe. Zeitenwende für die katholische Soziallehre" von Christof Breitsameter und Stephan Görtz, das posthum erschienene Buch "Die Kunst zu lieben. Unterwegs zu einer neuen Sexualethik" von Eberhard Schockenhoff, sowie der Band "Liebe, Laster, Lust und Leiden. Sexualität im Alten Testament" von der Grazer Exegetin Irmtraud Fischer. Lintner: "Diese Publikationen machen deutlich: Die katholische Sexual- und Ehemoral war nie 'fix und fertig', sondern immer schon eine Baustelle - nicht erst heute."
Quelle: kathpress