Zulehner: Katholische Kirche braucht dringend Demokratisierung
Die katholische Kirche braucht dringend Schritte in Richtung Demokratisierung und Synodalität, um den Wandel in eine "nachkonstantinische Ära" und den damit verbundenen Verlust an gesellschaftlichem Einfluss gut zu bewältigen. Das hat der Wiener Theologe und Religionssoziologe Paul M. Zulehner am Mittwochabend bei einem Online-Jour-fixe des Verbands katholischer Publizistinnen und Publizisten zum Thema "Corona - und die Folgen für die Kirche" dargelegt. Hohe Erwartungen setzt er diesbezüglich in die 2022 geplante Bischofssynode über Synodalität: Sie könnte die derzeitige "Stagnation der Weltkirche" aufbrechen. "Hoffentlich bleibt Papst Franziskus fit genug" für die auch kirchenrechtlich zu verankernde Weichenstellung hin zu mehr Mitbestimmung, so Zulehner.
Den Papst aus Argentinien sieht der Theologe nach wie vor als Garanten für weitreichende Kirchenreformen - auch wenn beharrende Kräfte im Vatikan dem entgegenstünden, wie sich z.B. zuletzt beim Segnungsverbot für gleichgeschlechtliche Paare gezeigt habe. In der Kirche gebe es viel an genuin Demokratischem als Ausgangspunkt für eine breitere Einbindung der Gläubigen in Entscheidungsprozesse.
Diese Partizipation ist nach Überzeugung Zulehners alternativlos: Auch im Vorfeld der Pfarrgemeinderatswahlen im März 2022 zeige sich eine schwindende Bereitschaft zu kandidieren: "Die Menschen machen das nicht mehr mit", dass die Letztentscheidung immer nur geweihte Kleriker träfen und die ehrenamtlich eingebrachte Kompetenz von Laien bestenfalls zur Beratung diene. Viele zögen sich enttäuscht zurück oder verließen die Kirche sogar, verwies der Theologe auf Daten der von ihm seit Jahrzehnten ausgewerteten Langzeitstudie "Religion im Leben der Österreicher*innen 1970-2020".
Am Beispiel St. Pölten
Als Beispiel für problematische kirchliche Entscheidungsprozesse wurde beim Jour fixe über die aktuelle Strukturreform in der Diözese St. Pölten diskutiert: Nach den Worten Zulehners agiere Bischof Alois Schwarz "voll auf dem Boden des Kirchenrechts", wenn er dafür eine externe Beraterfirma beiziehe. Besser als "vorgeben" sei allerdings "vereinbaren", wenn es um das erforderliche "Change Management" in Richtung einer zukunftsfitten Kirche geht. Berater und "Schreibtischtheologen" würden zwar viel schneller zu Weichenstellungen kommen, die würden dann allerdings zu Widerstand bei den - nicht eingebundenen - Betroffenen führen und viel Energie binden, meinte Zulehner. Eine breite Einbindung dauere länger, sorge aber für mehr "Innen- statt Außenmotivation" und sei dadurch nachhaltiger.
Der Wiener Theologe erläuterte seine Präferenz für dieses "synodale" statt "autoritär-klerikale" Modell anhand der Kirche im abgelegenen Wintersportort Zauchensee: Lange Zeit gab es dort gar keine, bis der damalige Dechant und spätere Salzburger Erzbischof Georg Eder den Bau für die liturgisch unterversorgten Dorfbewohner veranlasste. Dort habe man sich jedoch reserviert darüber gezeigt, berichtete Zulehner und zitierte den Vorbehalt eines Einheimischen: "Das ist die Kirche der Kirche, nicht unsere Kirche."
Echte Laienbeteiligung nötig
Echte Laienbeteiligung gab es laut dem Theologen in dem Zeitfenster zwischen dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils 1965 und der Veröffentlichung des neuen Kirchenrechts-Kodex 1983. In dieser Phase seien breit angelegte Versammlungen wie etwa die "Würzburger Synode" (die gemeinsame Synode der deutschen Diözesen 1971 bis 1975, Anm.) durchgeführt worden - bevor "Synode" kirchenrechtlich als Beschlussgremium geweihter Amtsträger definiert wurde. Spätere Versammlungen seien deshalb als "Diözesanforen" oder "Synodaler Weg" umschrieben worden, um eine breitere Mitbestimmung zu ermöglichen, so Zulehner.
Eine notwendige Kirchenrechtsreform sollte nach seinem Dafürhalten "Kirchenparlamente" ermöglichen, in denen etwa - statt allein durch Bischöfe oder Bischofskonferenz - über die Verwendung von Kirchenfinanzen entschieden wird. Von Bischöfen wünscht sich Zulehner ein Amtsverständnis, bei dem sie sagen: "das ist nicht 'meine' Kirche, sondern die des Volkes Gottes." Wäre dies umgesetzt, wäre die bittere Diagnose des großen Mailänder Kardinals Carlo Maria Martini (1927-2012) entschärft, der kurz vor seinem Tod gemeint hatte, die Kirche hinke der modernen Welt mindestens 200 Jahre hinterher.
Quelle: kathpress