Zulehner: Die Kirche kann man nicht über Strukturen retten
Als Schwäche der kirchlichen Reformbewegungen der vergangenen Jahrzehnte sieht der Pastoraltheologe Paul M. Zulehner, "dass man meint, die Kirche über Strukturen retten zu können". Der vor zehn Jahren gestartete "Aufruf zum Ungehorsam" der österreichischen Pfarrerinitiative als Beispiel dafür habe zwar Aufsehen erregt, sei aber im Grunde eine pfarrergewerkschaftliche Aktion geblieben und ins Leere gelaufen, sagte der emeritierte Wiener Professor in einem Interview mit der Linzer Kirchenzeitung (Ausgabe 19. Mai). Um die Kirche zu erneuern und die "Müdigkeit im Kirchenvolk wie in der Bischofskonferenz" zu überwinden, wäre ein "synodaler Weg aller" notwendig, so Zulehner.
Ungewohnt seien damals im Jahr 2011 nicht die schon bekannten Reformforderungen gewesen, sondern die Tatsache des Protestes von Pfarrern um Helmut Schüller gegen ihren Dienstgeber, blickte Zulehner zurück. Die Inhalte seien auch gar nicht diskutiert worden, da sich die Bischofskonferenz über den Ungehorsam geärgert und den Aufruf zu einer Frage der Autorität gemacht habe - nach dem Motto "Ja, derfen's denn des?".
Da es also kein Weiterkommen gab, hätten sich die damals beteiligten, noch aus der Konzilsgeneration stammenden Priester in Folge im Sinn ihrer Ideen der Entwicklung zukunftsfähiger Gemeinden gewidmet, analysierte der Theologe. Manche der damals Engagierten hätten sich enttäuscht zurückgezogen oder gar aus der Kirche verabschiedet, andere hingegen würden nicht mehr zum Ungehorsam aufrufen und sich darauf konzentrieren, "was ihnen für eine gute Entwicklung wichtig ist".
Gelungen sei der Pfarrerinitiative laut Zulehner aber immerhin, Schwung in anstehende Fragen zu bringen. Zum Beispiel, "dass Gemeinden bewährte, verheiratete Männer und Frauen, für den priesterlichen Dienst wählen sollen, die der Bischof in ein Team weiht". Vor allem auf Ebene der Kirchengemeinden sei Entwicklung und Erneuerung denkbar; im Umgang mit innerkirchlichen Fragen wie Ökumene oder Homosexualität hätten sie - und auch die Zeit - die Kirchenleitung ohnehin "längst überholt".
Statt sich mit Internas aufzuhalten und eine "sterbende Kirchengestalt am Leben zu erhalten", wäre ein Hinausgehen an die "Ränder" wichtig, was Papst Franziskus nicht müde werde einzufordern, sagte Zulehner. Gelinge es, durch synodale Beratungen eine zeitgemäße Sprache über "den Glauben, Gott und unsere Hoffnung über den Tod hinaus" zu finden, könne sich die Kirche auch den Fragen der Gesellschaft wie Euthanasie und "Ehe light" beteiligen oder sich der Sorge um die von der Pandemie Verwundeten sowie der heutigen "Megathemen" Klima und Migration kompetent annehmen.
Große Erwartungen hegt der Pastoraltheologe für die Weltbischofssysnode 2022, bei der es um der Frage der Synodalität - Zulehner übersetzte den Begriff mit "geordnetes Hören aller auf den Geist Gottes heute" - gehen wird. Durchaus könnten die Kirchenreformer dabei ihre Ideen über die Delegierten der Ortskirche in die Synode einbringen. Zulehner: "Die Bischöfe sind gefordert, ihre Diözesen mutig in Rom zu vertreten und nicht nur umgekehrt. Die Reformfreude in den Ortskirchen entscheidet letztlich über den Erfolg des Pontifikats. Dann tragen wir auch dazu bei, dass unsere Weltkirche die anstehenden epochalen Herausforderungen meistert."
Quelle: kathpress