Caritas-Expertin: Jeder kann etwas gegen Armut in Österreich tun
Bei der Caritas sind die Hilfsanfragen in der Sozialberatung während der Pandemie deutlich gestiegen. "Corona hat dazu geführt, dass neue Gruppen zur Sozialberatung kommen", schilderte Michaela Haunold, Abteilungsleiterin für Beratung und Hilfe der oberösterreichischen Caritas für Menschen in Not, bei einem Caritas-Webinar in Linz am Mittwochabend. Der Druck auf Betroffene steige, etwa wenn das geringfügige Gehalt durch Jobverlust wegfällt, Trinkgelder für Beschäftige in der Gastronomie ausbleiben, Alimente weniger sind, ein zahlender Elternteil die Arbeit verliert, eine Erkrankung ausbricht, oder aufgrund von Kurzarbeit. Unsicherheit lösten auch hohe Jahresabrechnungen für Strom, Heizung und Wasser aufgrund der vermehrten Zeit zu Hause aus, berichtete die Caritas-Expertin.
Von neuen regionalen Beratungsstellen, über die Vernetzung von Klientinnen wie etwa werdenden Müttern, seien viele Ideen vorhanden, um Menschen in Not noch besser helfen zu können, sagte Haunold bei der Veranstaltung, die auch Caritas-Initiativen und Vernetzung im Dekanat Linz-Süd vorstelle. Hoffnung setzt sie auch auf den Ausbau des Freiwilligennetzwerks, etwa um Betroffene bei Behördenwegen zu begleiten. Letztendlich sei jede und jeder aufgerufen, "bewusst hinzuschauen" und zu überlegen, wie Hilfe aussehen könnte und wo sie gebraucht werde. Haunold plädierte dafür, sich berühren zu lassen und berührbar zu bleiben, um im Fall des Falles "eine Stimme gegen Unrecht sein zu können".
Eine kostenlose Caritas-Lernbegleitung für Kinder und Jugendliche gibt es bereits. Sie soll im Herbst fast österreichweit ausgebaut werden. Dafür suche die Caritas noch engagierte Menschen mit pädagogischer Ausbildung oder pädagogischer Erfahrung, die die Kinder und Jugendlichen auf Honorarbasis begleiten. Auch kostenlose Räume werden noch gebraucht. Ein Beispielprojekt, das bei Bedarf auch nach der Pandemie fortgeführt werden soll, ist eine Lebensmittelausgabe, wie es etwa die Pfarre Linz-St. Peter aufgebaut hat. Mittlerweile sind bei der "Spallerhofer Tafel" mehr als 100 Betroffene registriert.
Dass Armut österreichweit ein aktuelles Thema ist, macht der Blick auf die Statistik deutlich. Seit April gilt als armutsgefährdet, wer weniger als 1.328 Euro monatliches Einkommen hat. In Österreich sind das etwa 1,5 Millionen Menschen. Besonders betroffene Gruppen seien Alleinerziehende, kinderreiche Familien, Menschen mit Mindestpension, Langzeitarbeitslose ab etwa einem halben Jahr ohne Arbeit, Migrantinnen und Migranten sowie kranke Menschen, sagte Haunold: "Mehr als die Hälfte unserer Klientinnen und Klienten sind Frauen."
Der Bedarf an Sozialberatungen ist laut der Caritas-Mitarbeiterin vor allem in ländlichen Regionen stark gestiegen. Das sei unter anderem auf den Ausbau des Beratungsangebots per Telefon und Internet zurückzuführen. Dieses werden leichter angenommen, weil die Hürde wegfalle, persönlich in eine der zwölf Beratungsstellen zu gehen. Allein im Jahr 2020 seien in etwa 18.000 Beratungen rund 12.000 Personen unterstützt worden. Auch ein Anstieg in der Obdachlosigkeit sei bemerkbar, erzählte die Mitbegründerin des "Helpmobils", einer mobilen medizinischen Basisversorgung. Die meisten Armutsbetroffenen versuchen jedoch aus Scham, ihre Situation nach außen nicht zu zeigen.
Zu den größten Hürden, um aus der Not herauszukommen, zählen äußerst angespannte Einkommenssituationen wie etwa bei "neuen Selbstständigen", Taxilenkern oder in der Gastronomie. Die Pandemie habe solche Situationen verstärkt, ebenso wie Verluste in der Familie, andere persönliche biografische Krisen, fehlende oder zerbrechende Beziehungen, gesundheitliche und psycho-soziale Probleme.
Arbeitslosigkeit und die damit verbundenen Einkommensverluste sowie unsichere Arbeitsverhältnisse tun das Ihrige dazu. Schwierig werde es auch, wenn Unterstützungsansprüche unklar sind, zum Teil gekürzt wurden, oder aufeinander bezogen werden, wie etwa das Kinderbetreuungsgeld, das ohne Familienbeihilfebescheid nicht ausbezahlt werde. Letztlich sei die Leistungshöhe der Unterstützung oft nicht Existenz sichernd, kritisierte Haunold.
Das von der Innovationsgruppe des Dekanats Linz-Süd mit der oberösterreichischen Caritas für Menschen in Not veranstaltete Webinar gab fachliche Grundlagen zum Thema Armut in Österreich und stellte regionale und überregionale Projekte vor, die bereits durchgeführt werden, oder knapp vor der Umsetzung sind. Zudem standen Austausch und Vernetzung im Vordergrund.
Quelle: kathpress