Scheuer: Toleranz NS-Grundhaltung der Verachtung entgegenstellen
Der verachtenden Grundhaltung des Nationalsozialsozialismus muss bis heute eine "Tugend der Toleranz" und die Wahrnehmung fremden Leids entgegengehalten werden: Das hat der Linzer Bischof Manfred Scheuer am Sonntag im Rahmen der Befreiungsfeier beim Mahnmal für den Frieden in Gallneukirchen (OÖ) gefordert. Das Gedenken des Mauthausen Komitees Gallneukirchen fand im Rahmen der traditionellen Feierlichkeiten rund um den Jahrestag der Befreiung des ehemaligen NS-Konzentrationslagers Mauthausen vor 76 Jahren (8. Mai) statt. Das Mahnmal erinnert u.a. an die 1941 deportierten und in Hartheim ermordeten 64 behinderten Gallneukirchner; 1945 wurden auf einer Wiese des Orts auch einige der aus Mauthausen entflohenen KZ-Häftlinge bei der "Mühlviertler Hasenjagd" aufgegriffen und ermordet.
Neben der Verachtung alles "unwerten Lebens" sei "die Anmaßung absoluter Macht über Leben und Tod" die Wurzel der Vernichtung, von Terror, Krieg und Barbarei, mahnte Scheuer in seiner Kathpress als Manuskript vorliegenden Festrede. Sie hätten zur Vernichtung von Roma und Sinti, Juden, behinderter Menschen sowie von Homosexuellen und als "asozial" geltenden Frauen und Männern beigetragen, so der Linzer Bischof, der innerhalb der Österreichischen Bischofskonferenz für das Mauthausen Komitee und den Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus zuständig ist.
Die NS-Grundhaltung hat sich laut Scheuer auch der Kräfte von Wissenschaften, Medizin, Ökonomie und sogar der Religion bedient. Folglich habe es eine ökonomische Kosten-Nutzen-Rechnung im Hinblick auf die Ermordung von Behinderten gegeben, in den Konzentrationslagern wurde zudem zwischen "Verwendbaren" und "Unbrauchbaren" selektiert. Im Hintergrund sei die Utopie eines "rassisch" homogenen Volk und "physisch und geistig gesunder Volkskörpers" gestanden, aus dem die "schadhaften Elemente" entfernt werden müssten.
Auch die Zerstörung der Synagogen, die Vernichtung der Juden und "der Versuch, das Gedächtnis des jüdischen Volkes auszulöschen", seien dem NS-Rassenwahn und der Idee einer "perfekten Volksgemeinschaft" entsprungen, erläuterte Scheuer. Die gewünschte "Symmetrie" und Gleichheit des Volkes sollte über Individualität triumphieren. Das Fremde sei nur noch "unter dem Vorzeichen der Negation" gestanden. Auch die Wahrnehmung des Anderen sei in der NS-Zeit durch die Perspektive der Verdächtigung, Anfeindung, Ablehnung, Verurteilung oder Unterwerfung geprägt gewesen.
Toleranz als Gegenpol
Als Gegenpol zur Nazi-Vernichtung nannte Scheuer das Zweite Vatikanische Konzil, auf dem die Tugend der Toleranz für ein friedliches Zusammenleben der Menschen als unbedingt notwendig erachtet wurde. "Wo beides verwirklicht ist, wo man eigene Identität besitzt und behält und wo man doch den anderen nicht unter die eigenen Maßstäbe zwingt, ist Toleranz gegeben. Toleranz besteht für mich darin, sich mit dem Anderen und Fremden wirklich auseinanderzusetzen", erläuterte der stellvertretende Vorsitzender der Bischofskonferenz.
Toleranz eröffne damit einen "sozialen Raum", der aber nicht grenzenlos sei, "weil unbegrenzte Toleranz auch ihren Feinden, nämlich der Intoleranz, der Willkür und der Gewalt, freie Hand lassen müsste". Als Folge davon brauche Toleranz Standpunkte, meinte Scheuer. Als Beispiel nannte er etwa den Dialog mit anderen Religionen und Kulturen, der nach Klarheit, Klugheit und Vertrauen, die Überzeugung des eigenen Glaubens und das Wissen um die eigene Tradition verlange.
Leidensempfindlichkeit als Lösung
Gegen eine Entmenschlichung des Nationalsozialismus müssten Gesellschaft wie auch Kirche "Empathie, Einfühlungsvermögen und Offenheit, die auch an den Leiden, Ängsten, Versagen des anderen teilnehmen kann", stellen, forderte Scheuer, der dabei auf die Enzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus verwies. Darin betonte der Papst, dass eine "echte menschliche Entwicklung (...) moralischer Art" die vollkommene Achtung gegenüber der menschlichen Person voraussetze. Zu diesem Humanum gehöre wesentlich auch eine elementare Leidempfindlichkeit und Leidenschaft für die Mitwelt.
Fremdes Leid wahrzunehmen müsse damit zur Friedenspolitik und zur sozialen Solidarität gehören, forderte der Linzer Bischof. Ansonsten drohe eine Freiheit ohne Mitleid und Empathie zur Tyrannei zu werden. "Es geht um Empathie, Einfühlungsvermögen und Offenheit, die auch an den Leiden, Ängsten, Versagen des anderen teilnehmen kann", betonte Scheuer.
Gedenktage bis 16. Mai
Mit dem Schwerpunkt "Vernichtete Vielfalt" veranstaltet das Mauthausen Komitee Österreich bis 11. Mai am Wiener Heldenplatz eine symbolische Gedenkaktion. Den nackten Zahlen sollen dabei Namen und Gesichter entgegengesetzt werden: 23 Fotos in Lebensgröße von Überlebenden der Konzentrationslager und deren Zitate erinnern an die Gräuel der NS-Zeit. Höhepunkt des mehrtägigen Programms ist ein Gedenkzug am 16. Mai in Mauthausen, der mit reduzierter Teilnehmerzahl durchgeführt und von ORF III sowie als Livestream übertragen wird. Die Feierlichkeiten stehen heuer unter dem Jahresmotto "Vernichtete Vielfalt". Das "Fest der Freude" zum Gedenken an die Opfer und die Freude über die Befreiung von der nationalsozialistischen Terrorherrschaft wurde am 8. Mai wegen der Pandemie virtuell veranstaltet.
Seit 1945 organisieren Überlebende des KZ Mauthausen und seiner 49 Außenlager in sechs Bundesländern Österreichs Gedenk- und Befreiungsfeiern, seit 2006 mit jährlichen thematischen Schwerpunkten. Neben dem zentralen Event in Mauthausen lädt das Komitee auch zu zahlreichen anderen im Jahresverlauf in ganz Österreich stattfindenden Gedenkveranstaltungen, die sich mit aktuellen Problematiken und Solidaritätsbewegungen beschäftigen. Eine Programmübersicht bietet die Website www.mkoe.at/programm-2021.
Zu den Trägern des Vereins Mauthausen Komitee Österreich zählen neben dem Österreichischen Gewerkschaftsbund auch die katholische Österreichische Bischofskonferenz sowie die Israelitischen Kultusgemeinden Österreich.
(Infos: www.mkoe.at)
Quelle: kathpress