Vor 100 Jahren wurde NS-Widerstandskämpferin Sophie Scholl geboren
Am 9. Mai jährt sich der Geburtstag von Sophie Scholl zum 100. Mal. Die Studentin und Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus wurde am 22. Februar 1943 gemeinsam mit ihrem Bruder Hans und Christoph Probst wegen ihres Einsatzes in der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der Historiker Robert Zoske hat für seine aktuelle Biografie über Sophie Scholl bislang unveröffentlichtes Quellenmaterial herangezogen. Er möchte in seinem Buch vor allem den Menschen Sophie Scholl zeigen und mit so manchen Mythen aufräumen, wie er im Interview mit der Kooperationsredaktion der österreichischen Kirchenzeitungen betont.
Letztlich sei Scholls tiefer Glaube grundlegend für ihren Widerstand gewesen, so der Historiker. Sophie Scholl habe zusammen mit ihrem Bruder Hans versuchte, Glaube und Handeln zusammenzubringen. Sie hätten erkannt, "wenn etwas falsch ist, dann kann man sich nicht zurückziehen und sagen, ich lasse die Welt einfach laufen, sondern dann muss ich etwas tun". Diese Verbindung zwischen Glaube und Handeln sei für ihn, so Zoske, "das Faszinierende, Überzeugende und Mutmachende, gerade auch für heute". Scholl folgte ihrem Gewissen. "Von da her ist sie eine Zeugin für den christlichen Glauben", so der evangelische Theologe, Historiker und Buchautor.
Sophie Scholl sei dabei aber nicht der Dreh- und Angelpunkt der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" gewesen, erläuterte Zoske. Dass sich das im Bewusstsein der Bevölkerung so eingeschlichen hat, liege vor allem an den Filmen, die 1982 und 2005 gedreht wurden. Sie sei auch nicht an der Abfassung der insgesamt sechs Flugblätter beteiligt gewesen, die zum Widerstand gegen die NS-Diktatur aufriefen. Diese seien vor allem von ihrem Bruder Hans Scholl sowie von Alexander Schmorell und Kurt Huber verfasst worden.
Ab der zweiten Flugblattphase im Herbst 1942 sei Sophie Scholl dann aber aktiv dabei gewesen. Sie war laut Zoske so etwas wie die Managerin - "sie hat für Geld gesorgt, für den Vervielfältigungsapparat, für Briefumschläge, für Papier und für Briefmarken". Und sie sei maßgeblich an der Verbreitung der Flugblätter beteiligt gewesen.
In den Bereich der Scholl-Mythen gehöre weiters die Geschichte, dass sich Scholl besonders für Juden eingesetzt habe, etwa für ihre jüdische Klassenkameradin und angebliche Freundin Luise Nathan. Zoske: "Deren Tochter hat mir deutlich bestätigt, dass ihre Mutter immer bestritt, näheren Kontakt zu dem nazibegeisterten Mädchen gehabt zu haben." Scholl sei als Mädchen ihrer Zeit "voll auf den Nationalsozialismus abgefahren". Sie sei begeistertes Mitglied der Jungmädelschaft und danach des Bundes Deutscher Mädel der Hitlerjugend gewesen.
Diese Begeisterung habe sich später umgekehrt, "als sie allmählich erkennt, dass die Nationalsozialisten nicht ihren Idealen entsprechen". Das Umdenken sei ein schrittweiser Prozess gewesen, erläuterte der Theologe und Historiker: "Sie war ja bis 1941 noch über ihr Abitur hinaus weiter beim Bund Deutscher Mädel gewesen. Richtig festmachen kann man ihren Sinneswandel wohl erst im Mai 1942."
Sophie Scholl hatte nach dem Abitur 1940 eine Ausbildung zur Kindergärtnerin am Evangelischen Fröbelseminar in Söflingen in Ulm begonnen. Danach arbeitete sie in einem Kinderhort in Blumberg, wo sie Kriegshilfsdienst leisten musste. Zoske über diese Zeit: "In der kleinen Stadt fand man ein wenig Erz, das die Nationalsozialisten für ihre brutale Wirtschafts- und Rüstungspolitik nutzten. Und so wurde aus diesen Erzschichten alles herausgepresst, was nur möglich war. Dazu hat man auch viele Menschen wie Kriegsgefangene, Straftäter und Verschleppte dorthin gebracht und sie mussten unter Zwang arbeiten."
Die Natur sei rücksichtslos zerstört und die Menschen ausgebeutet worden. "Und als man dann feststellte, das Erz bekomme man in der Ukraine wesentlich günstiger gefördert, wurden innerhalb von wenigen Monaten 4.000 Leute auf die Straße gesetzt." Genau in dieser Zeit sei Sophie Scholl vor Ort gewesen, so Zoske: "Ich gehe davon aus, dass sie in Blumberg Impulse bekam, die wahrscheinlich dazu geführt haben, dass bei ihr dann die letzte Faszination, welche der Nationalsozialismus noch auf sie ausgeübt hatte, endgültig erloschen ist." In München begann Sophie Scholl 1942 ein Biologie- und Philosophiestudium und lernte durch ihren Bruder Hans, der Medizin studierte, Studenten kennen, die sich gegen die NS-Herrschaft stellten.
Sophie Scholl werde für ihn "umso glaubwürdiger, je menschlicher sie ist", so Zoske weiter: "Es gibt auch diese zwischen Begeisterung und Traurigkeit schwankende Sophie, diese zweifelnde, zickige, gehemmte, widersprüchliche und fragende Sophie, die aber zum Schluss sagt, sie habe jahrelang etwas Verkehrtes gemacht, aber jetzt wisse sie, dass sie etwas gegen den Krieg machen müsse." Scholl sei in der Lage gewesen "umzudenken und einen Sinneswandel zu vollziehen", betont der Buchautor: "Für sie war dann klar, dass eine moralische, ethische Erkenntnis zu einer Tat führen muss und sie entschied sich für den öffentlichen widerständigen Freiheitskampf."
Sophie Scholl wurde wegen ihres Engagements gegen das NS-Regime im Rahmen der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" gemeinsam mit ihrem Bruder und Christoph Probst am 22. Februar 1943 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Willi Graf, Kurt Huber und Alexander Schmorell ereilte zwei Monate später dasselbe Schicksal.
(Buchtipp: Robert M. Zoske "Sophie Scholl: Es reut mich nichts. Porträt einer Widerständigen.", Propyläen Verlag, 2020)
Quelle: kathpress