Caritas-Generalsekretärin Parr: Pflegeberuf attraktiver machen
Die Coronakrise hat die Schwächen des Pflege- und Betreuungssystems in Österreich wie unter einem Brennglas sichtbar werden lassen. Das war der Tenor der jüngsten "Runde der Regionen" der Regionalmedien Austria (RMA). Gemeinsam mit dem Magazin "Hausarzt" luden die RMA zu einer Diskussion zum Thema "Pflegenotstand" im neuen Medienhub am Wiener Hauptbahnhof. Mit dabei war u. a. Caritas-Generalsekretärin Anna Parr. Sie war sich mit den anderen Expertinnen und Experten einig, dass es mehr Geld, Personal, Ausbildung und Unterstützung für pflegende Angehörige brauche, wie es in einer Aussendung am Montag hieß. Und: Will man den drohenden Pflegenotstand abwenden, müssen sich auch mehr Männer für den Pflegeberuf begeistern. Parr zur Personalsituation im Pflegebereich: "Es ist fünf nach zwölf."
Die Caritas-Generalsekretärin ging u. a. auf die ausländischen Pflegerinnen ein: "Wir haben durch die Pandemie den enormen Wert, den diese Betreuerinnen übernehmen, wahrgenommen und auch unsere Abhängigkeit von ausländischen Kräften". Pflegende Angehörige seien in der ersten Phase der Pandemie extrem belastet gewesen. Das bestätigten 78 Prozent im Rahmen einer Studie der Volkshilfe, 16 Prozent mussten ihre Erwerbsstunden reduzieren, um die Situation zu bewältigen, erläuterte Parr.
Für die Caritas-Generalsekretärin braucht es einen flächendeckenden Ausbau der Angebote: "Beratung, mobile Dienste, Tageszentren und Pflegeeinrichtungen". Langfristig sei auch eine Personaloffensive notwendig: "Es ist fünf nach zwölf", betonte Parr. Der Rechnungshof habe letztes Jahr dazu einen Bericht veröffentlicht. "Derzeit ist das Verhältnis der Altersgruppe zwischen 50 und 65, die zu Pflegende betreuen könnten, vier zu eins. Im Jahr 2060 ist das Verhältnis eins zu eins". Auf das müsse man sich vorbereiten, so Parr, die einen Ausbau zeitlich flexibler Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige forderte, die auch finanziell leistbar sind.
Mit Parr diskutierten Elisabeth Potzmann, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGKV), Robert Pozdena, Geschäftsführer der 24-Stunden-Betreuungsunternehmens "cura domo", und Michael Buchner von der MAS Alzheimerhilfe.
Die pflegenden Angehörigen seien "in der Krise an die Belastungsgrenzen gekommen", betonte auch Michael Buchner. Bei den zu Pflegenden sei es häufig zu einer Vereinsamung gekommen. Für Betroffene habe es kaum Entlastungsangebote gegeben, weil alle Stellen ihre Programme nur sehr begrenzt anbieten konnten. "Wir sehen einen Mangel an Geld, an Personal und an Ausbildung", so Buchner.
Menschen wollen zu Hause bleiben
Für Robert Pozdena hat die Pandemie die 24-Stunden-Betreuung als wichtigen Baustein in der Pflege verdeutlicht: "Die 24-Stunden Betreuung ist jetzt in ein besseres Licht gerückt. In der Pandemie hat man gesehen, dass die Betreuung zu Hause natürlich auch das geringste Infektionsrisiko hatte", so Pozdena.
Ziel sei es, dass Menschen so lange wie möglich zu Hause leben können, bestätigte auch Parr. Das sei der Wunsch der Mehrheit. "Es ist ein Übergang, bis eine Pflegesituation entsteht", so Parr, die betonte, dass es eine Kooperation verschiedener Formen der Pflege brauche.
Auf den Umstand, dass Familienangehörige nicht nur selbst die Pflegeleistung erbringen, sondern diese zu einem Teil auch noch selbst finanzieren müssen, wies Elisabeth Potzmann hin. Die Hauptfinanzierung liege innerhalb der Familie, "das Land trägt die Kosten nicht im vollen Umfang", erklärte Potzmann. Fast 100 Prozent der pflegenden Angehörigen würden finanzielle Belastungen angeben.
Eine Versicherung des Bundes für pflegende Angehörige gebe es zwar, sie endet aber mit dem 60. Lebensjahr. Mehr als ein Drittel der pflegenden Angehörigen würden aber in die Altersgruppe 60-Plus, erklärte Potzmann, die eine Absicherung für diese Menschen über 60 Jahre hinaus befürwortet. Ein weiterer Punkt, der Potzmann am Herzen lag: Die Pflege im Familienbereich dürfe nicht allein auf die Frauen abgewälzt werden. Tatsächlich seien es zu 95 Prozent Frauen, die in der Pflege tätig sind.
"Ein toller, dankbarer Job"
"Wir brauchen laut einer Studie der Gesundheit Österreich bis 2030 75.000 ausgebildete Menschen am Arbeitsmarkt, um dem steigenden Bedarf bewältigen zu können", rechnete Parr vor. Sie denkt, dass es mehr Gespräche über die vielfältigen Ausbildungsmöglichkeiten in der Pflege brauche. "Ich glaube, dass wir Rollmodels brauchen, die darüber sprechen, dass es auch für Männer ein toller Beruf ist", so Parr. Zudem brauche es bundesweit kostenlose Ausbildungsstätten.
Auch Robert Pozdena war die Attraktivierung des Jobs ein Anliegen: "Es muss sexy sein, in die Pflege zu gehen." So, wie man versuche, Frauen in technische Berufe zu bringen, müsse man Männer für die Pflege begeistern. "Es ist ein toller, dankbarer Job".
Quelle: kathpress