Glettler: Gesetzesänderung bei Suizidbeihilfe muss "vorsichtig" sein
Eine "höchst sensible und vorsichtige Gesetzesänderung" in Sachen Sterbehilfe hat der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler eingemahnt. Dem Auftrag des österreichischen Verfassungsgerichtshofes (VfGH), Schutzregeln gegen Missbrauch für den ab 2022 erlaubten assistierten Suizid aufzustellen, sei nachzukommen. Dabei sollten sich jedoch weder der Gesetzgeber noch die Gesellschaft insgesamt zu einer Festlegung, "wann ein menschliches Leben noch lebenswert sei, und wann nicht", drängen lassen, betonte der in der Österreichischen Bischofskonferenz für Lebensschutz zuständige Bischof in einem am Sonntag veröffentlichten Interview der Austria Presse Agentur (APA).
Glettler äußerte sich mit Blick auf das von der Regierung eingerichtete "Dialogforum Sterbehilfe", das ab Montag fünf Tage lang über den Umgang mit dem VfGH-Urteil vom Dezember berät. Dringend notwendig sei eine "wesentlich bessere Aufklärung" über Sterbehilfe, sagte der Bischof mit einem Verweis auf eine aktuelle Studie des Ludwig Boltzmann Instituts und des "Instituts für Ethik und Recht in der Medizin": Nur 27 Prozent der in Österreich lebenden Menschen fühlten sich demnach ausreichend zum Thema informiert. Auch was passive und indirekte Sterbehilfe bedeutet und dass die beiden ethisch unbedenklichen Techniken in Österreich bereits erlaubt sind, ist den meisten laut den Studienergebnissen unbekannt.
"Je mehr sich die Menschen mit aktiver Sterbehilfe und ihren Konsequenzen auseinandersetzen, desto weniger können sie ihr zustimmen", so die Erfahrung des Innsbrucker Bischofs. Bestätigt sah sich Glettler in seiner scharfen Kritik an einer Mitte März von der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) in Auftrag gegebenen Umfrage, deren Fragestellungen der Bischof als "manipulativ" bezeichnet hatte. Das Ergebnis hatte gelautet, 80 Prozent der Befragten würden die VfGH-Entscheidung gut finden, während es bei der Boltzmann-Studie nur 61 Prozent waren. "Nicht zufällig" seien die Abweichungen derart signifikant ausgefallen, befand der Bischof im APA-Interview.
Kein "guter" Suizid
Suizidprävention müsse auch in Zukunft ein vordringliches Staatsziel sein, und zwar "jenseits aller religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen", forderte der Innsbrucker Oberhirte, denn: "Jeder Suizid ist eine Tragödie, nicht Ausdruck von Freiheit." Als Seelsorger wisse er auch um die Not der zurückgebliebenen Angehörigen. Es könne nicht sein, "dass es einen 'guten', gesellschaftlich anerkannten Suizid, und einen 'schlechten' gibt". Einzelpersonen und Institutionen müssten durch die neue gesetzliche Regelung auch davor geschützt werden, "Assistenz zur Selbsttötung leisten zu müssen" bzw. verpflichtet zu sein, sie in einer Alten- oder Pflegeeinrichtung anzubieten.
Hinter der Sterbehilfe-Debatte sah Glettler generell die gefährliche Tendenz einer "rein ökonomischen Betrachtung des Lebens", die den Wert des Lebens fast ausschließlich nach Leistung und Ertrag für die Gesellschaft bemesse: "Es ist traurig, dass ein Pflegefall zu sein, zunehmend als die allergrößte Katastrophe eingestuft wird". Nicht nur ältere Personen, auch physisch und psychisch beeinträchtigte Personen würden jetzt schon unter diesem Gefühl leiden, "für andere lästig und nur mehr eine Last, ja ein Kostenfaktor zu sein." Aber auch pflegende Angehörige müssten geschützt werden, um nicht in einen Rechtfertigungsdruck zu geraten.
Hospize: Missbrauch eingrenzen
Auch Werner Mühlböck, Vorstandsmitglied im Dachverband Hospiz Österreich und einer der rund 30 Teilnehmer am "Dialogforum Sterbehilfe", forderte in der "Tiroler Tageszeitung" (Sonntag) "klare Regeln zur Eingrenzung von Missbrauch", verbunden mit dem Ausbau von Hospiz- und Palliativangeboten sowie einer "guten Sorgekultur". Für die Hospizbewegung führe der VfGH-Entscheid zur "Sorge, dass vulnerable Menschen unter Druck geraten, assistierten Suizid in Anspruch zu nehmen, um anderen nicht zur Last zu fallen", berichtete der Geschäftsführer der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft.
Beihilfe zur Tötung drohe zu einer medizinischen Dienstleistung zu werden, "die eingefordert werden kann und das Selbstverständnis der helfenden Berufe erschüttert", so der Experte weiter. Ein geäußerter Sterbewunsch sei vor allem als "Hilfeschrei und Ausdruck existenziellen Leidens" sowie als "Aufforderung zum Dialog" zu verstehen. Mühlböck: "Wir wissen, dass sich der Wunsch nach assistiertem Suizid oft in dem Maß reduziert, in dem Menschen Linderung von Schmerzen und Entlastung erfahren." Die "Beteiligung am Töten" stelle eine Grenze dar, die man in den Hospizen auch künftig nicht überschreiten werde.
Quelle: kathpress