Suizidbeihilfe: "Nicht die Büchse der Pandora öffnen"
Der Wunsch zu sterben hängt meist mit Perspektivlosigkeit, Schmerzen und Einsamkeit zusammen und ist daher als "Hilferuf für eine Verbesserung der Lebenssituation" zu sehen. Das hat Franz-Joseph Huainigg, Vorstandsmitglied der "aktion leben", in einem Gastkommentar für die "Wiener Zeitung" (21. April) vor dem Hintergrund des Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisses zur Sterbehilfe betont. Wie diesem Hilferuf und der scheinbaren Aussichtslosigkeit am besten begegnet werden kann, ist für Huainigg klar: Palliativmedizin und Hospizversorgung müssten rasch ausgebaut werden, um "ein Sterben nicht durch die Hand eines Anderen, sondern an der Hand zu gewährleisten". Die in Österreich bevorstehende gesetzliche Neuregelung berge große Gefahren, wie die Erfahrung in anderen Ländern zeige.
"Wird die Türe (beim assistierten Suizid, Anm.) auch nur einen Spalt geöffnet, ist die Büchse der Pandora offen und 'a slippery slope' beginnt", warnte der frühere ÖVP-Behindertensprecher im Parlament. In Ländern mit bereits erfolgter Liberalisierung seien bestehende Einschränkungen Schritt für Schritt erweitert worden - von der terminalen Lebensphase bis hin zur Beihilfe zum Suizid Minderjähriger oder Demenzkranker.
Die Selbstbestimmung in dieser Frage werde immer mehr ausgehöhlt, zumal sich mit der Legalisierung der Suizidbeihilfe auch die Grundstimmung in der Bevölkerung verändere. Huainigg nannte die Schweiz als Beispiel für bedenkliche Entwicklungen: Seit 1998 sei dort ein stetiger Anstieg assistierter Suizide zu verzeichnen; zwischen 2009 und 2014 hätten sich die Zahlen mehr als verdoppelt, bei in etwa gleichbleibender Zahl "normaler" Suizide. Aus dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben werde für manche schnell die vermeintliche Pflicht, anderen nicht zur Last zu fallen, warnte der auf den Rollstuhl angewiesene Autor und Ex-Politiker vor Druck z.B. auf Menschen mit Behinderungen.
Der VfGH folge mit seiner Vorgabe an den Gesetzgeber dem "allgemeinen Mainstream", der Autonomie und Selbstbestimmung als höchste Werte sehe. Das Recht auf Leben werde demgegenüber in den Hintergrund gerückt. Jedoch, so Huainigg: "Eine völlig autonome Entscheidung, ohne Einfluss eines Dritten, wie es der VfGH fordert, kann es aber in Wirklichkeit nicht geben." Die Möglichkeit, sein Lebensende selbstbestimmt zu entscheiden, habe schon bisher durch Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht bestanden. Diese Möglichkeiten gelte es auszubauen und weiterzuentwickeln.
"Explosives" Ansteigen von Suiziden
Ähnlich die Argumentation des Moraltheologen Michael Rosenberger in der Linzer "KirchenZeitung" (21. April): In jenen Ländern, die schon länger eine streng begrenzte Straffreistellung der Suizidbeihilfe haben, steige die Inanspruchnahme dieser Möglichkeit "explosiv und bislang ungebremst" an. "Das stimmt wenig optimistisch mit Blick auf eine österreichische Regelung", schrieb der Theologe von der Katholischen Privatuniversität Linz in einem Pro und Contra als Gegenpart des ebenfalls um eine Einschätzung gebetenen Strafrechtler Alois Birklbauer, der auch Mitglied der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt ist.
Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs stelle den gesetzgebenden Nationalrat vor eine kaum lösbare Aufgabe, befand Rosenberger: Das Verbot der Tötung auf Verlangen (§ 77 StGB) und das Verbot der Verleitung zum Suizid (§ 78 Alternative 1 StGB) seien zwar als verfassungskonform bestätigt, das Verbot der Beihilfe zum Suizid (§ 78 Alternative 2 StGB) aber aufgehoben worden. Begründet wurde dies mit dem Menschenrecht, Art und Zeitpunkt des Todes frei zu bestimmen.
Dieses Erkenntnis mache die straffreie Suizidbeihilfe ausdrücklich nicht von einer schweren Krankheit im Endstadium abhängig, befand der Theologe. "Damit sind wir weit entfernt vom Fall eines Menschen, der unter unerträglichen, nicht linderbaren Schmerzen leidet."
Palliativmedizin statt Strafrecht
Alois Birklbauer unterstrich, es gehe in der aktuellen Diskussion nicht um eine Liberalisierung der "Sterbehilfe", weil für die Tötung durch fremde Hand keine Änderungen angedacht sind. Nur für die schlichte Unterstützung bei der Selbsttötung müsse sich der Gesetzgeber überlegen, ob er eine Neuregelung im Bereich des Strafrechts will. Möglich wäre eine weniger strenge Neuregelung beim assistierten Suizid oder auch der Verzicht auf eine strafrechtliche Regelung und stattdessen ein verstärktes Bemühen zur Selbstmordprävention, erklärte der Rechtswissenschaftler. Seine deklarierte Präferenz liegt auf Letzterem: Staat und Gesellschaft sollten für den Ausbau der Palliativmedizin sorgen, damit Menschen in der Selbsttötung keinen letzten Ausweg sehen.
Der Verzicht auf eine neue Strafbestimmung sei auch deshalb zu bevorzugen, da die Einstellung in der Bevölkerung zu diesem Thema uneinheitlich ist, so Birklbauer. Eine Kriminalisierung der Unterstützung beim Suizid bringe großes Leid über Angehörige, "die einen lieben Menschen bei diesem letzten Schritt nicht alleine lassen". Eine neue Strafbestimmung würde keinen Cent für den Ausbau der Palliativmedizin garantieren, gab Birklbauer zu bedenken. "Der Weg sollte in eine andere Richtung gehen."
Quelle: kathpress