Grazer "Philosophicum": Experten diskutierten "Zumutung Corona"
So sehr politisch Verantwortliche jetzt auch mit Angstszenarien arbeiten, um die Menschen dazu zu bringen, sich an die Corona-Maßnahmen zu halten; so sehr die Gesellschaft auch versucht, die Corona-Krise mit technokratischen Maßnahmen zu überwinden - letztlich werde man sich darauf einstellen müssen, dass Corona "bleiben und Teil der neuen Normalität werden wird". So lautete der Tenor einer Expertendiskussion am Freitagabend in Graz. Auf Einladung der Katholischen Hochschulgemeinde Graz und der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni diskutierten die Psychologin Marie-Christin Hinteregger, der Intensivmediziner Wolfgang Kröll und der Soziologe Klaus Wegleitner unter der Leitung des Philosophen Hans-Walter Ruckenbauer in einem "Philosophicum" über die "Zumutungen der Corona-Krise".
Der Soziologe Wegleitner verwies darauf, dass Corona gesellschaftliche und individuelle Lernprozesse in Gang gesetzt habe: "Die Hoffnung ist, dass wir auch im persönlichen und gesellschaftlichen Umgang lernen, mit grundsätzlicher Verletzlichkeit, mit dem, was uns als Menschen ausmacht, auch mit Endlichkeit und dem Sterben in anderer Weise umzugehen." Es gelte daher, etwas gelassener mit der aktuellen Situation umzugehen und vor allem, den Blick über den eigenen Tellerrand zu heben: Denn die Fokussierung auf die eigenen Debatten etwa über Test- und Impfstrategien würden dazu führen, dass die dramatischen Folgen, die Corona in anderen Weltregionen zeitigt - etwa massive Armut oder Ernährungsknappheit - in Europa ganz aus dem Blick gerieten.
Die Grazer Psychologin Marie-Christin Hinteregger berichtete aus ihrer Praxis von einem zuletzt starken Anstieg an psychischen Erkrankungen. "Jetzt werden die psychischen und psychosozialen Auswirkungen der Pandemie deutlich." Oftmals seien es Angstzustände, die Menschen in ihre Praxis treiben. "Angst spricht alle Menschen an. Die Pandemie rüttelt ohnehin an unserem Sicherheits- und Stabilitätsbedürfnis" - und wenn in dieser Situation auch noch etwa in der politischen Kommunikation mit Angst gearbeitet werde, so belaste dies die Menschen zusätzlich. "Aus psychologischer Sicht wäre es weitaus sinnvoller, an das Solidaritäts- und Gemeinschaftsgefühl der Menschen zu appellieren, statt ihnen zu sagen, wenn sie sich nicht an die Maßnahmen halten, werden die Intensivbetten knapp."
Ähnlich auch die Einschätzung des Intensivmediziners Wolfgang Kröll: Angst trübe den Blick auf die Realität. Panik vor einem Mangel an Intensivbetten sei nicht angebracht, "wir sind nicht in einer Situation wie in Italien oder Frankreich", die Kapazitäten seien weiterhin vorhanden. Was ihm indes Sorge mache und was die Krise deutlich gemacht habe, sei vielmehr der Personalmangel in den Spitälern. "Uns gehen nicht die Intensivbetten aus, uns geht irgendwann das Pflegepersonal aus", wenn die Belastung weiterhin so hoch sei, so der Mediziner.
Ein Video des "Philosophicums" ist über die Website der KHG Graz abrufbar (www.khg-graz.at). Zudem gibt es im Podcast "Diesseits von Eden" der theologischen Fakultäten Österreichs und Südtirols eine Zusammenfassung der Diskussion zum Nachhören. (https://diesseits.theopodcast.at)
Quelle: kathpress