Caritas Wien begeht 100-Jahr-Jubiläum mit Fachtag
Die Gesellschaft braucht mehr als Gerechtigkeit, nämlich gelebte Barmherzigkeit und Solidarität, "für jene, die allein nicht mit dem Leben zurechtkommen": Das hat der emeritierte Erfurter Bischof Joachim Wanke in seinem Impulsreferat im Rahmen des Caritas-Fachtages zum 100-Jahr-Jubiläum der Pfarrcaritas der Erzdiözese Wien am Freitag eingefordert. Der Online-Fachtag zum Thema "Barmherzigkeit heute - Ehrenamt und kirchliche Sozialarbeit" wurde vom Wiener Weihbischof Stephan Turnovszky moderiert und von Caritas-Präsident Michael Landau eröffnet.
Pfarren seien seit Beginn der Caritas Wien "Kraftwerke der Nächstenliebe und Barmherzigkeit", betonte Landau in seinen Begrüßungsworten. Der Caritas sei seit auch ihrer Gründung im November 1921 als "Caritasverband für die Erzdiözese Wien" die Haltung der Barmherzigkeit und Liebe eingeschrieben, die bis heute in den Pfarren aktiv gelebt werde, zeigte sich Landau überzeugt. Die aktuelle Corona-Krise verglich Landau mit der sozialen Not nach dem Ersten Weltkrieg: Die Zeit damals wie heute sei von großer Not und Entbehrung gekennzeichnet. In dieser Situation komme es auf "jeden einzelnen an", appellierte Landau an Zusammenhalt und Zuversicht.
An der Online-Tagung mit Workshops und "Breakout Sessions" nahmen am Freitagnachmittag u.a. der Feldkircher Diözesanbischof Benno Elbs, der die Anliegen der Caritas innerhalb der Bischofskonferenz vertritt, die evangelische Theologin und Psychotherapeutin Rotraud A. Perner sowie die Theologische Referentin und Seelsorgerin der Caritas St. Pölten, Veronika Prüller-Jagenteufel, teil. Elbs hielt auch einen Workshop zum Thema "Die Werke der Barmherzigkeit im Kontext von Berufung und Christsein heute".
Wanke: Barmherzigkeit hat heute kaum Konjunktur
Bischof Wanke plädierte in seinem Impulsvortrag dafür, die durch die staatlich abgesicherte Professionalität sozialer Dienste "einforderbare Gerechtigkeit" um die Werke der Barmherzigkeit zu ergänzen, wie etwa "Ich rede gut über dich", "Ich besuche dich" oder "Ich höre dir zu".
Barmherzigkeit schätze man aber erst, "wenn man unbarmherzigen Menschen begegnet ist", konstatierte der emeritierte Bischof von Erfurt, der die sieben christlichen Werke der Barmherzigkeit im Elisabethjahr 2007 in eine aktuelle Sprache übersetzt hat. "Das Problem ist: Gerechtigkeit ist einforderbar, Barmherzigkeit nicht", betonte Wanke. Aber auch wenn "Barmherzigkeit heute kaum Konjunktur hat", brauche es diese auf Basis christlicher Gottes- und Nächstenliebe basierende Tugend.
Als "Schlüsselwort des heutigen gesellschaftlichen Grundgefühls" nannte Wanke die Gerechtigkeit. Damit einher gehe eine gesellschaftliche Forderung nach Grundrechten, "meinen Rechten" oder dem "Das steht mir gesetzlich zu!"-Denken; dies benötige wiederum eine staatlich abgesicherte Professionalität sozialer Dienste, um die Gerechtigkeit auch zu garantieren. Es sei zwar gut, "wenn man sich auch vor Gerichten gegen Willkür und Benachteiligungen wehren kann", was damit abhandenkomme, sei aber der Blick auf die Erfahrungen und Nöte von Menschen am Rand der Gesellschaft, die nicht für sich sprechen könnten, wies der deutsche Bischof hin.
Ehrenamtliche Mitarbeiter brächten in die Professionalität des Sozialbereichs eine notwendige Empathie und gesellschaftliche Wachsamkeit hinein, zeigte sich Wanke überzeugt. Und weiter: "Dazu kommt für uns als Christen noch eine zusätzliche, kostbare Erfahrung hinzu: Zuwendung zum Nächsten macht Gottes Liebe erfahrbar, gegenwärtig, anschaulich." Der Dienst in einer kirchlichen Sozialeinrichtung stelle damit auch eine Form "Glaubensverkündigung" dar.
Die "nichtprofessionelle" Caritas-Arbeit der Gemeinden dürfe daher nicht aus dem Leben der Ortskirchen verschwinden, denn sie verleihe "der Nächsten- und Gottesliebe 'Flügel' - und das ist gut so", plädierte der emeritierte Bischof.
Quelle: kathpress