Schönborn: Gemeinwohl muss im Vordergrund stehen
Kardinal Christoph Schönborn hat an alle gesellschaftlichen Akteure - politische Parteien, Organisationen oder auch Kirchen und Religionsgemeinschaften - appelliert, das Gemeinwohl in den Vordergrund zu stellen. Das sei gerade angesichts der aktuellen Coronakrise unabdingbar. Demgegenüber müssten auch in der Politik tagespolitische Differenzen hintanstehen, mahnte Schönborn; ansonsten drohe die gesellschaftliche Spaltung. Schönborn äußerte sich in der Serie "Zeit.Gespräche mit Gerhard Schmid" (https://www.facebook.com/zeit.gespraeche.gerhard.schmid/)
Auf das Spannungsfeld zwischen Kirche und Politik angesprochen, verwies der Kardinal darauf, dass es in allen politischen Gruppierungen Katholiken gebe. Man könne auch in politischen Fragen berechtigterweise unterschiedliche Positionen vertreten, freilich mit der Einschränkung, dass sich alle Positionen innerhalb des Spannungsbogens der Verfassung und der Menschenrechte bewegen müssten.
Besorgt äußerte sich Schönborn über das Wiedererstarken des Antisemitismus in Europa. Ein gewisser antisemitischer Bodensatz sei in der Gesellschaft stets vorhanden, hier gelte es besonders wachsam zu sein. Im Blick auf den tief sitzenden christlichen Antisemitismus erinnerte der Kardinal daran, dass der Karfreitag jahrhundertelang für Juden ein gefürchteter Tag war, "weil die Erinnerung an die Kreuzigung Jesu dann dazu geführt hat, dass man die Juden als Gottesmörder bezeichnet hat". An Karfreitagen habe es auch Pogrome gegeben, nicht so sehr in Österreich aber in östlichen Teilen der Habsburgermonarchie oder darüber hinaus in Osteuropa.
Sensationelle Papstreise in den Irak
Hinsichtlich der jüngsten Reise von Papst Franziskus in den Irak sprach der Kardinal von einem sensationellen Ereignis. Er bewundere den Mut des Papstes. Franziskus sei mit einer einfachen Botschaft des Friedens gekommen. "Er hat keine Macht, keine politische, keine militärische, keine wirtschaftliche. Er kommt einfach mit der Botschaft, dass alle Menschen Geschwister sind."
Das habe einen großen positiven Effekt in der islamischen und besonders in der arabischen Welt mit sich gebracht, bilanzierte Schönborn. Gerade die junge Generation habe das besonders wohlwollend aufgenommen. Franziskus sei freilich nicht naiv, so Schönborn: "Der Papst weiß um den islamistischen Terror, der nach wie vor ein Riesenproblem ist. Aber er ist fest überzeugt, dass die große Mehrheit der Muslime sich nach Frieden sehnt."
Glaube und Naturwissenschaft
Auch das Verhältnis von Naturwissenschaften und Glaube kam in dem ausführlichen Interview zur Sprache. Dabei bekannte sich der Kardinal als begeisterter Hobby-Naturwissenschaftler: "Ich bin zwar absolut kein gelernter Naturwissenschaftler aber populärwissenschaftlich interessiert und die Grundfragen über die Entwicklung der Natur, die Entwicklung des Kosmos oder die Entwicklung des Menschen haben mich immer sehr interessiert." Er habe nie verstanden, "warum Menschen einen Widerspruch zwischen Glauben und Wissenschaft sehen. Ich habe noch keine wissenschaftliche Entdeckung kennengelernt, die mich in irgendeiner Weise in meinem Glauben infrage gestellt hätte."
Im Gegenteil, er habe mit jeder naturwissenschaftlichen Erkenntnis immer mehr gestaunt, so Schönborn. Die Natur sei nicht einfach blindes Chaos, sondern eine geordnete Welt. "Und deshalb sind Naturwissenschaft und Glaube für mich überhaupt kein Widerspruch." Er sei vor Kurzem auch fasziniert gewesen von den ersten Live-Bildern von der Marsoberfläche gewesen. Und das habe ihm zugleich auch wieder die Schönheit der Erde bewusst gemacht. "Das ist unser Lebensraum. Es gibt keinen anderen. Es gibt nur diesen Planeten, auf dem wir Menschen leben können."
Im Blick auf die jüngste Erklärung der vatikanischen Glaubenskongregation bekräftigte der Kardinal einmal mehr, dass auch gleichgeschlechtliche Paare, die sich ehrlich um ein verantwortungsvolles Miteinander bemühen, einen Segen verdienen. Das bedeute zugleich nicht, die sakramentale Ehe mit anderen Formen des Zusammenlebens gleichzusetzen.
Schließlich äußerte sich der Kardinal auch noch zur Frage, wie lange er denn noch als Erzbischof von Wien im Amt bleiben werde:
Der Papst hat mir deutlich gemacht, dass er mich noch nicht gehen lassen möchte. Aber ich habe gesagt, wenn die Corona-Krise wirklich vorbei ist und wieder ruhigere Zeiten kommen, dann schaut euch bitte um einen Nachfolger um.
Quelle: kathpress