Antisemitismus-Strategie:
Theologe Jäggle vermisst "Gesamtpaket"
Antisemitismus-Strategie:
Theologe Jäggle vermisst "Gesamtpaket"
Eine Korrektur der Antisemitismus-Strategie der Bundesregierung wünscht sich der Wiener Theologe und Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Martin Jäggle. So löblich die Strategie insgesamt sei, so sehr fehle doch die Einbettung der Strategie bzw. der Maßnahmen in ein "Gesamtpaket", betonte er bei einem Online-Vortrag am Dienstagabend. Eine "isolierte Bekämpfung des Antisemitismus" funktioniere nicht - vielmehr müsse dieser als Teil eines "Gesamtproblems" des Rassismus und der Diskriminierung von Menschen betrachtet werden. Insofern sollte eine umfassende Strategie auch Fragen der Menschenrechte, des politischen Islams und der Gedenkpraxis im Land umfassen, so Jäggle.
Der Vortrag des emeritierten Wiener Religionspädagogen stand unter dem Titel "Neuer Antisemitismus und alter Rassismus?" und fand anlässlich des jüngsten Gedenkens an den 600. Jahrestag der "Wiener Gesera" - der Judenvertreibung und -vernichtung unter Albrecht V., die am 12. März 1421 ihren Höhepunkt fand. Angesichts dieser grausamen Ereignisse, bei denen über 200 Jüdinnen und Juden vor den Toren verbrannt wurden, hatten die Universität Wien und die Katholisch-Theologische Fakultät am vergangenen Freitag einen Gedenkakt am Judenplatz abgehalten, bei dem u.a. die Mitverantwortung seitens der Fakultät eingeräumt wurde und eine Selbstverpflichtung betreffend Lehre und Forschung ausgesprochen wurde. Die Initiative dazu ging auf Prof. Jäggle zurück.
Im Zusammenhang mit diesem Gedenken unterstrich der Theologe außerdem die Bedeutung einer lebendigen Gedenkpraxis. Elemente einer solchen seien außerdem erhöhte Sensibilität für die Wirkung von Texten und die Fähigkeit zur kritischen Reflexion der eigenen Kultur. Gerade die liturgische Lesart mancher Stellen des Neuen Testaments bedürften einer klaren "Interpretationshilfe", um keine antijudaistischen Spitzen aus ihnen herauszulesen, mahnte Jäggle. Stets gelte es zu bedenken, dass Jesus selbst Jude war und das Alte Testament "seine Heilige Schrift" war: Dieses als "Geschichte der Gewalt" zu verkürzen, bedeute zugleich, die Geschichte des Christentums selbst zu verkürzen.
"Das Gedenken ist die Voraussetzung für Veränderung", betonte Jäggle. "So wie Ostern als Gedenkfest eine neue Perspektive eröffnet - jene der Auferstehung Jesu -, so bedeutet auch das Gedenken nicht nur das Beklagen eines Verlustes, sondern es ist auf Zukunft und auf Erneuerung hin ausgerichtet."
Quelle: Kathpress