Telefonseelsorge warnt: "Die Batterien sind bei vielen leer"
Nach einem Jahr Corona zieht die Telefonseelsorge Oberösterreich eine ernüchternde Pandemie-Zwischenbilanz. In einer Aussendung am Montag wies Silvia Breitwieser, Leiterin der Telefonseelsorge, auf die immensen psychischen Belastungen für viele Menschen hin: "Neben steigenden und sinkenden Corona-Fallzahlen war das letzte Jahr auch geprägt von unterschiedlichen Belastungswellen für die Psyche. Angst war bei einem großen Teil der Bevölkerung vor genau einem Jahr eine der vorherrschenden Emotionen. Was folgte, war ein Auf und Ab der Gefühle: Sorge, Wut, Ernüchterung, Einsamkeit, Traurigkeit mit zwischenzeitlichen Phasen der Normalisierung und Entspannung." Nachsatz: "Die Batterien sind bei vielen leer."
Nach einem Jahr befinde man sich "immer noch mitten in der Krise. Müdigkeit, Erschöpfung, Resignation und Niedergeschlagenheit sind bei vielen an die Stelle der Angst getreten", so Breitwieser. Die Anstrengungen des vielfach erwähnten "Marathons" machten sich bemerkbar.
Pflegepersonal, Mediziner, LehrerInnen und Eltern hätten ein Jahr der Überlastung und Überforderung hinter sich, für Arbeitslose, Gastronomen und Kunstschaffende sei es ein Jahr von Existenzängsten gewesen. Schüler und Studierende hätten ein Jahr fehlender Struktur, sozialer Isolation und mangelnder Perspektiven hinter sich, so Breitwieser: "Der Ausnahmezustand scheint zum Normalzustand geworden zu sein."
Jugendzeit und Pandemie
Die sogenannte "Pandemiemüdigkeit", die sich schon seit geraumer Zeit bei großen Teilen der Bevölkerung breitmacht, zeige sich bei jungen Menschen besonders ausgeprägt, so Breitwieser weiter. Sei es doch gerade für junge Menschen essenziell, selbstbestimmt und aktiv ihr Leben zu gestalten. Fehlen Perspektiven für die Zukunft, so fehle auch die Motivation, sich zu engagieren. "Wenn Jugendliche ihre Leichtigkeit verlieren, so gilt es dies unbedingt ernst zu nehmen!", warnte Breitwieser.
Vor allem junge Menschen suchten auch Hilfe bei der Chatberatung der Telefonseelsorge. Ein Angebot, das aufgrund der großen Nachfrage ausgebaut wurde. Im Sofortchat suchen vor allem 15- bis 30-Jährige Hilfe über das geschriebene Wort, weil ihnen das Schreiben näherliegt als ein Anruf. "Die Zahlen zeigen, dass seit der Corona-Krise deutlich mehr junge Menschen online Hilfe und Unterstützung bei der Telefonseelsorge gesucht haben als im Jahr davor. Insgesamt hat sich die Anzahl der geführten Chats im Corona-Jahr mehr als versechsfacht", erläuterte Breitwieser.
Hinsichtlich der Themen habe es ebenfalls einen Wandel gegeben: Schule, Ausbildung, Studium oder Job waren viermal so häufig Gegenstand der Beratung wie im Vorjahr. Auch Einsamkeit wurde doppelt so häufig thematisiert.
Für die Chatberatung sucht die Telefonseelsorge neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Im April 2021 startet in Linz ein kostenloser Ausbildungslehrgang mit dem Schwerpunkt Mail- und Chatberatung.
(Telefonseelsorge Oberösterreich - Notruf 142; Alle Infos: Web: www.ooe.telefonseelsorge.at, Chat- und Mailberatung: www.onlineberatung-telefonseelsorge.at)
Quelle: kathpress