Neutestamentler: "Kein christliches Gottesbild ohne Judentum"
Was Christen glauben und welches Bild sie sich dabei von Gott machen, hat immer auch maßgebliche Bezüge zum Judentum: Darauf hat der Wiener Neutestamentler, Prof. Markus Tiwald, im Gespräch mit Kathpress hingewiesen: "Das gesamte Neue Testament ist eine Fortschreibung des Alten Testaments - ein christliches Gottesbild ohne Judentum gibt es nicht." Die Betonung der jüdischen Wurzeln sei im Laufe der Geschichte allzu oft verloren gegangen, "was zu unendlichem Leid geführt hat", so Tiwald mit Verweis auf den christlichen Antijudaismus und die Mitverantwortung der Christen am Holocaust. Heute würden diese jüdischen Wurzeln wiederentdeckt - und auch das Judentum entdecke die Person Jesu als "beispielhafter Jude seiner Zeit" wieder.
Tiwald äußerte sich im Vorfeld einer Tagung, die von Mittwoch bis Freitag an der Universität Wien zum Thema "Gottes-Bilder. Symposion zur Metaphorik biblischer Gottesrede" stattfindet. Corona-bedingt findet die Tagung allerdings digital statt. Initiiert wurde die Tagung von der Bibelwissenschaftlerin Veronika Burz-Tropper im Rahmen ihres vom FWF geförderten Forschungsprojekts "Gottes-Rede im Johannesevangelium" am Institut für Bibelwissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.
Heute würde in der Bibelwissenschaft kein Zweifel mehr an der starken Verwebung des frühen Christentums mit dem Judentum bestehen: "Das gilt auch für das doppelte Liebesgebot, das keine Erfindung Jesu darstellt. Es existiert zum Beispiel schon bei Philon von Alexandria, einem Zeitgenossen Jesu." Für ein "authentisches Gottesbild" sei daher wichtig, diese Zusammenhänge zu kennen und die "Einheit von Glaube und Praxis der Nächstenliebe" zu beachten.
Daran werde deutlich, dass Gottesbilder keineswegs in Stein gemeißelt seien, sondern sich auch durch wissenschaftliche Befunde und Arbeit langsam verändern - eben etwa in Form einer "Neubesinnung auf die jüdischen Wurzeln unserer Gottesbilder". In jüngster Zeit werde zudem auch immer mehr die "weibliche Seite Gottes" untersucht, berichtete Tiwald: "Die Bilder von Gott sind im Alten wie auch im Neuen Testament bisweilen auch weiblich geprägt. So will Jesus Jerusalem unter die Fittiche nehmen, wie eine Hühnermutter ihre Küken. Gott hat auch weibliche Seiten!"
Die Tagung "Gottes-Bilder" möchte die kursierenden und biblisch geprägten Metaphern der Rede von Gott in den Fokus rücken, wie es in der Ankündigung heißt: "Denn es scheint so etwas wie ein Naturgesetz zu sein, dass man von Gott nur in Metaphern, d. h. in menschlicher Sprache sprechen kann. Menschliche Rede von Gott ist immer nur in menschlichen Begriffen und Bildern möglich. Unter dieser spezifischen Perspektive soll daher ein Blick auf die biblischen Texte geworfen werden."
Informationen zum Detailprogramm und den Referentinnen und Referenten unter https://bit.ly/2NtIgiX
Quelle: kathpress