Schönborn: Corona-Krise ist auch ein Lernort für Dankbarkeit und Demut
Bei allen negativen Folgen, die die aktuelle Corona-Krise zeitigt, sollte man doch auch versuchen, der Krise positive Seiten abzugewinnen und die Lektionen erkennen, die sie lehrt: Darauf hat Kardinal Christoph Schönborn bei einem Interview auf "radio klassik stephansdom" hingewiesen. Er persönlich konnte etwa die deutlich ruhigere und terminbefreitere Zeit nutzen, um von seiner schweren Krankheit zu genesen; doch auch umgelegt auf andere gesellschaftliche Bereiche könne die Corona-Krise einen Lernort darstellen: "Die Verlangsamung ist ein wichtiger positiver Effekt, weil wir in einer Phase der Überhitzung, der Übertriebenheit waren", so Schönborn. Dankbarkeit, eine neue Aufmerksamkeit und eine neue Bescheidenheit seien weitere positive Aspekte.
Schönborn äußerte sich in der Sendereihe "Prominente Ordensleute im Gespräch", die am Mittwochabend in Form eines einstündigen Live-Gesprächs auf "radio klassik Stephansdom" ausgestrahlt wurde. Das Gespräch fand im Begegnungs- und Berufungszentrum "Quo vadis" in der Wiener Innenstadt statt und wurde von Stephan Hauser geführt. Neben aktuellen Fragen ging es dabei vor allem um die Person und Lebensphasen von Kardinal Schönborn als Dominikanermönch.
Neue Demut lehre die Krise insofern, als der Mensch einsehen müsse, "einfach nicht alles im Griff zu haben" und zugleich nichts für selbstverständlich zu erachten. Auch die Entschleunigung und eine "neue Aufmerksamkeit für die Schöpfung" habe er als wohltuend empfunden - und er hoffe, "dass es uns gelingt, diese Erfahrungen aus der Pandemie in einen künftigen neuen Alltag hinein zu retten". Eine "neue Aufmerksamkeit" für scheinbar alltägliche Dinge sei auch durch den Mangel an Berührung entstanden: So habe er seit dem 13. März - also seit dem ersten Lockdown in Österreich im vergangenen Jahr - niemandem mehr die Hand gegeben. "Das ist so seltsam. Diese Distanz! Es fehlt uns etwas - und uns wird zugleich bewusst, dass wir leibliche Wesen sind", so der Kardinal.
Vom Ringen mit dem Konzil
Ein großer Teil des Gesprächs war dem persönlichen Lebensweg des Ordensmannes Christoph Schönborn gewidmet, der mit 18 Jahren in den Dominikanerorden eingetreten ist. "Zweifel an der Entscheidung hat es nie wirklich gegeben, aber Spannungen, Konflikte, massive Krisen, ja." Das liege zum einen in der Natur der Sache, wenn man als so junger Mensch eine solche "Lebenswahl" treffe - zum anderen habe dies aber auch mit der bewegten Zeit der Konzils- bzw. der Nachkonzilszeit zu tun, blickte Schönborn zurück. Das Konzil habe viele wichtige Impulse und Aufbrüche gebracht, aber zugleich sei in seiner Folge auch eine "innerkirchliche Krise großen Ausmaßes ausgebrochen", die mit einem "Massenexodus" sowohl von Gläubigen als auch von Priestern und Ordensleuten einherging.
Schönborn wörtlich: "Ich lasse mir nicht sagen, dass die Zeit nach dem Konzil nur eine glorreiche Erfolgszeit war. Sie war ein wunderbarer Aufbruch in vieler Hinsicht, aber auch ein gigantischer Abbruch. Und die Aufarbeitung dieser Krise ist die Lebensgeschichte meiner Generation."
Neuaufbrüche und Missbrauch
Heute gebe es an vielen Orten Neuaufbrüche des Klosterlebens, verwies Schönborn etwa auf vier neue Klöster, die allein in seiner Amtszeit in der Erzdiözese Wien entstanden seien. Dies könne gewiss nicht über den anhaltenden Rückgang bei den großen Kongregationen hinwegtäuschen - aber: "Totgesagte leben länger", zeigte sich der Kardinal überzeugt. Schließlich habe das Ordensleben eine beständige und seit den Anfängen ungebrochene Faszination auf Menschen ausgeübt.
Dies könne und dürfe aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es gerade bei den jungen Ordensgemeinschaften und Bewegungen auch Schattenseiten gebe. So großartig ihr Wachstum sei, so erschütternd sei das Auftreten von Missbrauch "unter einer ganzen Reihe von Gründergestalten". Dies sei "verwirrend und erschütternd", stelle aus seiner Sicht aber nicht das Ordensleben an sich infrage.
"Vor allem: nicht jammern!"
Am Schluss gestand der Wiener Erzbischof angesichts der anstehenden Fastenzeit, mit diesbezüglichen Vorsätzen vorsichtig zu sein und statt großer Verzichtsvorsätze eher auf praktische Dinge zu setzen. So habe er den Fastenvorsatz: "Die Mühsal des Älterwerdens in Dankbarkeit ertragen - und vor allem: nicht jammern!"
Das Gespräch mit Kardinal Christoph Schönborn in der Reihe "Prominente Ordensleute im Gespräch" kann auf der Website von "radio klassik Stephansdom" nachgehört werden: https://radioklassik.at/prominente-ordensleute-im-gespraech-kardinal-christoph-schoenborn-op
Quelle: kathpress