Gletter: In Pandemie nicht zur "kranken Gesellschaft" werden
Vor Handlungen und Äußerungen, die zum Verschärfen einer "sozialen Erkrankung" angesichts der Corona-Krise führen, hat Bischof Hermann Glettler gewarnt. Angesichts der Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie sei breite Solidarität nach dem Vorbild der ersten Akutphase im vergangenen Frühjahr angesagt, nicht jedoch ein "Aufeinander-Losgehen", sagte der Innsbrucker Bischof am Donnerstag zu Mittag im Wiener Stephansdom bei einem Gottesdienst zum kirchlichen "Welttag der Kranken". "Wenn wir uns gegenseitig mit einer hässlichen Unbarmherzigkeit mit Vorwürfen überschütten und anklagen, dann zeigt sich ein abgründiges Gesicht einer wirklich 'kranken Gesellschaft'", mahnte Glettler.
Viele Menschen hätten angesichts der Corona-Krise einen "Erschöpfungszustand" erreicht, hätten an Perspektiven, Inspiration, Lebenssinn und -freude eingebüßt und fühlten sich verlassen, beschrieb Glettler die gegenwärtige Situation. Auch die Gesamtgesellschaft sei im Ausnahmezustand der vergangenen Wochen an die Grenzen gelangt - der intensivmedizinischen Versorgung, aber auch der psychischen Belastbarkeit. Sichtbar werde dies u.a. im vermehrten erstmaligen Auftreten von Symptomen psychischer Krankheiten bei scheinbar "gesunden" Menschen, sowie an Kindern und Jugendlichen.
Im Umgang mit Krankheiten gelte es sich vor einem allzu "technischen" Blick zu hüten, sagte der Bischof in Bezugnahme auf den kirchlichen Welttag. Kranksein gehöre zur Erfahrung des Lebens. Der Mensch sei seinem Wesen nach verwundbar und dürfe auch in seinem Mühen um Überwindung der Krankheit nicht der Einbildung erliegen, "dass wir letztlich ja alles machen können". Dies habe die aktuelle Krise deutlich vor Augen geführt.
Krank zu sein bezeichnete Glettler als eine "Krise", die oft mit Ängsten, Erfahrung von Ohnmacht verbunden sei: Der rasche Lauf des Lebens werde unterbrochen, der "Betrieb" gestört, gewohnte Abläufe durcheinander gebracht und der Betroffene eine Zeitlang handlungsunfähig. Auch die Sorge um Angehörige schwinge oft mit, und immer auch ein bestimmtes Maß an Verzweiflung, so der Bischof, und unterstrich: "Wer krank ist, braucht Trost, nicht nur die technische Lösung des Problems."
Durchaus könne eine Krankheit auch zum Erfahrungsort von Gottes Wirken werden, befand Glettler. "Wenn jemand krank ist, dann ist Gott auch dabei. Die Phase unseres Schwachseins kann sogar zu einer Gnade größerer Aufmerksamkeit werden - für seine uns immer tröstende und heilende Gegenwart." Gläubige Menschen hätten durch alle Jahrhunderte hindurch erfahren, in Krankheiten getragen zu sein von der "realen Präsenz Gottes" in Jesus Christus, der sich selbst angreifbar, berührbar und verwundbar gemacht habe. Es komme auch nicht von ungefähr, dass in christlichen Gottesdiensten nahezu selbstverständlich für Notleidende und Kranke gebetet werde.
Quelle: kathpress