Zwangsprostitution: Wie Frauen den Ausstieg schaffen können
Seit mehr als 20 Jahren unterstützt die Franziskanerin Sr. Anna Mayrhofer im Rahmen der Initiative "Solwodi" Frauen, die Opfer von Menschenhandel, sexueller Gewalt und Ausbeutung geworden sind. "Solwodi" steht für "Solidarity with women in distress", zu Deutsch: "Solidarität mit Frauen in Not." Die Organisation wurde 1985 von Sr. Lea Ackermann in Kenia gegründet. Solwodi Österreich gibt es seit 2010. Sr. Anna, Leiterin von Solwodi Österreich, berichtet im neuen Kirchenpodcast von dramatischen Schicksalen von Prostituierten, welche Hilfe möglich ist, welche Stolpersteine aber die österreichischen Gesetze und nun auch Corona mit sich bringen. Der Podcast kann u.a. auf der Website der katholischen Kirche in Österreich unter www.katholisch.at abgerufen werden.
In Wien betreibt die Initiative seit mehreren Jahren eine Beratungsstelle, in einer Schutzwohnung finden Frauen und ihre Kinder eine temporäre Bleibe. Insgesamt finden dort zehn Frauen Platz und Ruhe und können sich stabilisieren. Viele der Betroffenen, die in Wien betreut werden, haben außerdem Kinder. Fünf Sozialarbeiterinnen und ein Team von Freiwilligen kümmern sich die Frauen. Jede Frau hat ihr eigenes Zimmer, das Zusammenleben sei aber trotzdem herausfordernd, erzählt Sr. Anna: "In der Prostitution sind die Frauen oft Konkurrentinnen. Sie mussten ihr Leben lang kämpfen. Hier können sie auch normales soziales Verhalten wieder lernen."
Wie lange sie in der Schutzwohnung bleiben, hängt von der Situation der Frauen ab. Es können Wochen, Monate und in Ausnahmen sogar Jahre sein. Die Frauen seien oft schwer traumatisiert, hätten Alpträume in der Nacht und körperliche Beschwerden.
Dabei würden sich die Frauen aber auch gegenseitig motivieren, weiß Sr. Anna Positives zu berichten: "Voriges Jahr ist eine Frau mit Kind bei uns ausgezogen, die war drei Jahre bei uns. Sie sagt zu den anderen: 'Leute, schaut mich an. Ich bin mit 50 Cent in der Tasche hier eingezogen und jetzt gehe ich in eine eigene Wohnung.'" Das mitzuerleben sei für die anderen Frauen sehr erbauend gewesen.
Covid-19 als Bremsklotz
Die Pandemie erweist sich laut Sr. Anna für die Frauen hingegen in mehrfacher Hinsicht als Bremsklotz. Deutschkurse, die für eine Aufenthaltsbewilligung zwingend abgeschlossen werden müssen, finden nicht statt, auch das Zusammenleben gestalte sich schwieriger als sonst. Viele Prostituierte seien einfach verschwunden, so die Ordensfrau. Man gehe davon aus, dass sie in ihre Heimatländer gefahren sind, weil sie in Österreich derzeit kein Geld verdienen können. Andere wiederum würden weiter im Bordell wohnen, machten so aber bei den Betreibern Mietschulden und gerieten in neue Abhängigkeitsverhältnisse.
Auch die "Sozialhilfe neu" erweist sich immer wieder als Hindernis. Nicht jedes Opfer von Menschenhandel habe in Österreich Anspruch auf Sozialleistungen, sondern nur jene, welche bei der Polizei über ihre Misshandlungen aussagen und wenn die Justiz die Frau als Zeugin benötigt. Das Aufenthaltsrecht gelte dann auch nur für die Dauer des Prozesses, kritisierte die Ordensfrau.
Armut und Missbrauch als Ursachen
Die Gründe, aus denen Frauen in die Prostitution geraten, ähneln sich immer wieder. Materielle Armut und Missbrauchserfahrungen spielen dabei eine zentrale Rolle. "Eine Frau hat mir einmal erzählt: 'Früher musste ich das gratis machen, jetzt bekomme ich wenigstens Geld dafür'", berichtet Sr. Anna. Die Frauen hätten meist sehr wenig Selbstvertrauen, was die Menschenhändler ausnutzen. Zudem: Die Menschen, die die Frauen zur Prostitution zwingen, stammten oft aus dem gleichen Milieu.
Auf Hilfe durch die eigene Familie könnten die Betroffenen oft auch nicht bauen. Sr. Anna: "Wir hatten einmal eine Frau bei uns, deren Vater sie als 16-Jährige aus Ungarn in ein Bordell in die Nähe von Wien brachte, um Geld zu verdienen."
Viele Frauen, die bei den Ordensfrauen Schutz und Hilfe suchen, sind schwanger, erzählt Mayrhofer. Die Schwangerschaft sei für sie ein Weg, um aus der Prostitution auszusteigen. "Die Frauen wissen, wer der Vater ist, sie gehen eine Beziehung ein, um aus dem Milieu herauszukommen, nur verlassen die Männer die Frauen dann meistens, wenn ein Kind unterwegs ist." Einmal habe die Putzfrau eines Bordells eine Frau, die drei Wochen vor dem Geburtstermin stand, mit Solwodi in Kontakt gebracht. "Da hat der Bordellbetreiber gesagt, dass sie nicht mehr bleiben kann."
Umdenken der Gesellschaft gefordert
Mayrhofer kritisiert im Podcast die gesellschaftliche Sicht auf Sex als käufliche Ware. Sätze wie "Wenn Frauen mehr Huren wären, müssten wir nicht zu Prostituierten gehen" oder "Bei einer Prostituierten hole ich mir das, wofür mir meine Ehefrau zu schade ist" höre sie öfter. In Österreich gebe es zu wenig Diskussion über dieses problematische Frauenbild, wonach Frauen immer für Sex zur Verfügung zu stehen hätten. Dieses Frauenbild infrage zu stellen, würde auch den Männern Vorteile bringen. "Es fällt uns schwer, die Männer in dem Sinne als Opfer zu sehen und auch ihnen zu helfen, Aber wir müssen das ins Gespräch bringen." Ein Mann, der mit schlechtem Gewissen ein Doppelleben zwischen Familie und Bordell führe, sollte ebenfalls Hilfe erhalten.
Sie selbst musste in ihrer Arbeit erst lernen, dass auf Erden nicht immer alles gerecht zugehe. Vollkommene Gerechtigkeit werde es erst im Himmel geben. Sie betrachte sich selbst als kleines Werkzeug, so Sr. Anna. "Ich tue, was ich kann, aber ich muss nicht die ganze Welt retten."
Der von der ökumenischen Radioagentur Studio Omega produzierte Religionspodcast "Wer glaubt, wird selig" ist nicht nur auf www.katholisch.at, sondern auch auf www.studio-omega.at, auf https://studio-omega-der-podcast.simplecast.com sowie auf iTunes, allen Smartphone-Apps für Podcasts, auf Spotify und auf YouTube (https://www.youtube.com/channel/UCwJ-QjJFPX4EGRuHBHsIJJQ/featured) abrufbar.
Quelle: kathpress