Experte: Mehr Orthodoxe in Österreich als Muslime und Protestanten
Die Zuwanderung im Zuge der Jugoslawien-Kriege und der Nahost-Konflikte haben die ökumenische Situation in Österreich verändert. Wie der Ostkirchenexperte Dietmar W. Winkler im Interview der Kärntner Kirchenzeitung "Sonntag" (Ausgabe 21. Jänner) darlegte, sind die Mitglieder der orthodoxen und altorientalischen Kirchen in Summe "nunmehr nach den Katholiken die zweitgrößte christliche Konfession, mehr als Protestanten und mehr als Muslime". Dies ist laut dem in Salzburg lehrenden Professor für Patristik und Kirchengeschichte eine Chance für die Ökumene: : "Jede Kirche hat Charismen in das Gesamtkonzert der Kirche einzubringen, die andere nicht haben; keine Kirche ist vollkommen." Jeder Kirche, auch der katholischen, "fehlt etwas".
Orthodoxe Kinder seien in vielen Schulen zur Normalität geworden, wies Winkler hin. Deren Kirchen blickten auf eine andere kulturelle und liturgische Tradition zurück, die theologischen Unterschiede zur katholischen Kirche seien "im praktischen Leben so wenig relevant wie jene im Zusammenleben mit evangelischen Christen". Die westlichen Kirchen - Protestanten und Katholiken - haben laut dem Konsultor des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen eine eher rationale theologische Herangehensweise gemeinsam, die Ostkirchen schöpften aus dem spirituellen Schatz der Kirchenväter und der Liturgie.
Orthodoxe Theologie solle nicht abstrakt sein, sondern sich konkret auf das menschliche Leben beziehen und pastorale Zugänge aufzeigen, führte Winkler aus. Die Orthodoxie kenne etwa verheiratete Priester, Bischöfe leben zölibatär. "Von ihrem Umgang mit zerbrochenen Ehen können auch wir lernen", meinte der Salzburger Theologe: Es sei Realität, dass Beziehungen scheitern, aber die Kirche dürfe die Menschen dann nicht allein lassen. Deshalb gebe es in den orthodoxen Kirchen die Möglichkeit einer Scheidung und Wiederverheiratung, "die keine Konterkarierung der Unauflöslichkeit der Ehe ist, sondern ein Eingehen auf die pastoralen Nöte".
Von den Orientalen wiederum lerne er etwa eine andere Herangehensweise zur Theologie - einen poetischen Zugang im Sinne einer narrativen Theologie, so Winkler weiter. Das erinnere an Jesus, der das Reich Gottes auch mit einem Gleichnis, einer Geschichte veranschaulicht "und nicht mit abstrakten theologischen Begriffen herumgeworfen" habe. Die verschiedenen Kirchen sehe er somit als "Mosaikteilchen der einen großen Kirche, und jede braucht die andere", wie Winkler sagte.
Nahost: Verlust der Wurzeln droht
Zur Situation der Christen im Nahen Osten meinte der Experte, diese sei von Land zu Land unterschiedlich. In Ägypten und Jordanien etwa sei die Lage für die Kirchen derzeit nicht außergewöhnlich. Anders in Syrien oder im Irak, wo Akteure in gewaltsamen Konflikten Religion politisch instrumentalisieren würden. Zwischen diese Mühlsteine kämen Christen wie auch Muslime. "Viele sehen aufgrund der Lebensumstände dort keine Zukunft."
Für die Kirchen weltweit sei dies allerdings bedrängend, warnte Winkler: "Wird nämlich die Wiege des Christentums leer, so verlieren wir alle unsere Wurzeln." Die Situation müsse politisch gelöst werden, das Bemühen um Frieden in der Region sei "unser aller Verantwortung". Der Ostkirchenexperte zeigte sich überzeugt: Das christliche Grundgebot der Gottes- und Nächstenliebe "kann ein wesentlicher Faktor in der Region sein, der zur Entspannung führt".
Quelle: kathpress