Expertenrunde: Es gibt nicht "die eine" christlich-soziale Politik
Es gibt nicht "die eine" christlich-soziale Politik, und auch in einer so umstrittenen Frage wie der Aufnahme von Flüchtlingen können Christen legitimerweise unterschiedlicher Meinung sein. Das war der Tenor einer Runde von Fachleuten, die ausgehend vom heuer von der Politischen Akademie der ÖVP herausgegebenen Buch "Christlich-soziale Signaturen. Grundlagen einer politischen Debatte" über die Frage diskutierte, wofür "christlich-sozial" heute stehen könnte.
An der von "Kurier"-Redakteur Rudolf Mitlöhner moderierten Buchpräsentation ohne Publikum - die Debatte ist via Facebook und YouTube im Internet zugänglich - nahmen fünf Autoren des Buches teil: Neben Mitlöhner selbst der Wiener Moraltheologe und Medizinethiker Matthias Beck, die Sozialethikerin Ingeborg Gabriel, der Salzburger christliche Philosoph Emmanuel J. Bauer und Bettina Rausch, Präsidentin der Politischen Akademie und Herausgeberin des Sammelbandes.
"Können nicht alle Probleme lösen"
Christlich heiße "weit zu denken und nicht zu sagen, ach, wir helfen jetzt mal allen", ging Matthias Beck auf den zuletzt auf von vielen Kirchenvertretern betonten Anspruch ein, der Not von Flüchtlingen auf Lesbos durch Aufnahme in Österreich zu begegnen. "Wir können nicht die Probleme der ganzen Welt lösen", so der Theologe und Priester, der an den ethischen Grundsatz erinnerte: "Was immer du tust, tue es klug und bedenke das Ende!"
Christliche Werte prägen die Politik in Europa z.B. durch die Kranken- und Arbeitslosenversicherung, die laut Beck auf dem Anspruch des Evangeliums basieren, Leidenden und Bedürftigen beizustehen. Viele soziale Dienste hätten mit dem Christentum unmittelbar zu tun.
Als Mann mit Erfahrungen in der früheren DDR brach der Theologe eine Lanze für das Privateigentum. Schon Thomas von Aquin habe klar benannt, dass dieses Voraussetzung dafür ist, dass man sich um Besitztümer kümmert. Wenn allen alles gehöre wie in Ländern mit sozialistischer Ideologie, sei dies nicht der Fall. Gleichmacherei sei nicht christlich, betonte Beck. Nicht umsonst ergehe im Evangelium die Aufforderung, aus drei Talenten sechs zu machen, also unternehmerisch tätig zu sein.
Christlichen Ansprüchen würde auch eine Diskussionskultur jenseits von Freund-Feind-Trennlinien entsprechen, in der andere Meinungen anerkannt und sogar wertgeschätzt werden, wies Beck weiter hin und plädierte für "Räume der Wahrheitsfindung".
"Ethik ist nicht Mathematik"
Sozialethikerin Ingeborg Gabriel distanzierte sich von der Position des Schweizer Priesters und Professors für Ethik und politische Philosophie, Martin Rhonheimer, der sowohl christlich als auch sozial für politisch nicht relevante Kategorien halte. Zu sagen, Sozialpolitik sei eigentlich unnötig, weil sie die freien, sich selbst regulierenden Kräfte des Marktes behindern, würde die Grundlagen einer auf Frieden und Gerechtigkeit basierenden Demokratie zerstören, so Gabriel.
Über die Frage, was gerecht ist, müsse es einen von Respekt geprägten Austausch der Politik geben. "Ethik ist nicht Mathematik", so die Theologin pointiert. Bei Werthaltungen könne es keine so klaren Positionen geben wie in der Naturwissenschaft, das gelte auch für christliche Positionierungen. So seien in der Flüchtlingsfrage "Übelabwägungen" erforderlich: Auch wenn "einem das Herz weh tut", wenn Heimatvertriebene z.B. ertrinken, müssten auch die Folgen einer Aufnahme in Österreich mit bedacht werden. Und, so Gabriel: "Politik heißt auch, dass man nicht gegen Mehrheiten regieren kann." Es sei nötig, sich mit Mehrheitsmeinungen auseinanderzusetzen und diese zugleich beeinflussen zu suchen.
Dem Vorwurf, die ÖVP sei "nicht mehr christlich-sozial", widersprach Gabriel: In allen Parteien seien Christen tätig, und man könne aus christlicher Überzeugung auch eine andere Partei als die sich explizit auf ihre christlichen Wurzeln berufende ÖVP wählen. Letztlich werde keine Partei alle Ansprüche abdecken.
Emmanuel J. Bauer, Professor für Christliche Philosophie in Salzburg, nahm in der Asylfrage auch die Flüchtlinge in die Pflicht: Auch sie seien "Subjekte" und nicht nur "Objekte der Moral" und z.B. für korrekte Angaben in Asylverfahren verantwortlich. Das Flüchtlingsthema wäre weit weniger Aufreger, würde bei den Verfahren weniger "geschummelt", verwies Bauer auf entsprechende Einschätzungen in der heimischen Bevölkerung.
Grundsätzlich merkte der Benediktiner aus Göttweig an, die Katholische Soziallehre biete der Politik ihre Prinzipien Personalität, Solidarität, Gemeinwohl und Subsidiarität als Orientierungspunkte, ohne die Gerechtigkeit und Chancengleichheit in einer Gesellschaft nicht gewährleistet wären.
"Keine Checkliste, wie man in den Himmel kommt"
"Gastgeberin" Bettina Rausch erklärte zum Thema Moria, neben Gesinnungs- brauche es auch Verantwortungsethik, die die Folgen des Handelns zu berücksichtigen empfiehlt. "Wahrscheinlich kann man als Christ zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen", was die Evakuierung von Flüchtlingen betrifft, anerkannte sie. "So wie es keine Checkliste gibt, wie man in den Himmel kommt, gibt es auch keine in Bezug auf 'christlich-sozial'", betonte Rausch. Es werde immer wieder darum gerungen, auch innerhalb der ÖVP, die ja auch noch Konservativismus und Liberalismus als Wurzeln habe.
Die Präsidentin der Politischen Akademie bekannte sich zur ökosozialen Marktwirtschaft als Leitlinie der Wirtschaftspolitik ihrer Partei. Menschen müssten "Selbstwirksamkeit" erfahren, und das biete christlich-soziale Politik im Unterschied zur sozialistischen, die das Handeln eher übergeordneten Instanzen zuweise. Da christlich-soziale Politik Teilhabe ermöglichen wolle, gebe es bei deren Vertretern auch Vorbehalte gegen einen Diskurs von Eliten, in dem die Mehrheit "abgehängt" wird.
Der von Rausch jüngst herausgegebene Sammelband "Christlich-soziale Signaturen. Grundlagen einer politischen Debatte" enthält auch Beiträge von Caritas-Bischof Benno Elbs, dem Sozialethiker Clemens Sedmak und der Theologin und Werteforscherin Regina Polak. Die Podiumsdiskussion ist nachzuhören auf www.facebook.com/politischeakademie in einer Kurzfassung, die Langversion findet sich auf https://youtu.be/3abQBakAvWQ.
Quelle: kathpress