Landau: Jeder ist für Bewältigung der Coronakrise mitverantwortlich
Es kommt auf die Politik im Großen aber genauso auf jeden Einzelnen im Kleinen an, ob die Coronakrise positiv bewältigt werden kann. Das hat Caritas-Präsident Michael Landau im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress betont. 2021 werde mit Sicherheit ein schwieriges Jahr, nichtsdestotrotz sei er überzeugt, dass die Krise überwunden werden wird, so Landau. Dabei seien alle gefordert - von der Politik über die Zivilgesellschaft bis zu den Kirchen -, ihr Bestes zu geben. "Wir werden aus dieser Krise verändert hervorgehen. Ob zum Guten oder zum Schlechten. Das liegt auch ein Stück weit an uns", so der Caritas-Präsident.
In Richtung Politik bekräftigte Landau ein ganzes Bündel an notwendigen Maßnahmen: Eine gründliche Überarbeitung der "Sozialhilfe neu", eine wesentlich intensivere aktive Arbeitsmarktpolitik, eine Ausbildungsoffensive für Pflegeberufe und Reformen beim Pflegegeld, den Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung sowie deren vollständige Übernahme in die Regelfinanzierung, den Ausbau ganztägiger Schulformen, ein zweites verpflichtendes gebührenfreies Kindergartenjahr, genauso aber auch eine humanere heimische Asylpolitik und mehr gesamteuropäische Solidarität in der Flüchtlingsfrage.
Gerade zu Weihnachten und nun nochmals verstärkt durch die Pandemie werde zudem die Einsamkeit als enorme gesellschaftliche Herausforderung überdeutlich, so Landau. Er bekräftigte deshalb einmal mehr seine Forderung nach einem "Pakt gegen die Einsamkeit"; eine Initiative, die inzwischen auch schon von der Regierung aufgenommen wurde. Landau: "Einsamkeit ist eine Not, der wir uns im kommenden Jahr ganz dringend stellen müssen."
Auf die Corona-bedingt höchst schwierige Situation in den Alten- und Pflegeheimen angesprochen, von denen auch die Caritas zahlreiche betriebt, verwies Landau auf den Spagat zwischen menschlicher Zuwendung einerseits und Schutz von Bewohnern und Mitarbeitern andererseits. Er hoffe jedenfalls sehr, dass er in dem Heim, in dem er als Seelsorger tätig ist, heuer wieder den Weihnachtsgottesdienst feiern kann, sagte Landau. Nachsatz: "Klar ist, wenn ja, dann ganz frisch getestet."
Er sei sehr froh, so der Caritas-Präsident, "dass wir in allen Häusern Seelsorgerinnen und Seelsorger haben, die zu den Teams gehören und die mit den Teams zusammen regelmäßig zweimal die Woche getestet werden". Dennoch müsse man extrem aufpassen, "weil es sich bei den Bewohnern um eine "sehr, sehr verletzliche Gruppe" handle. Er sei froh, dass Besuche grundsätzlich möglich sind, er würde sich freilich mehr Besuchsmöglichkeiten wünschen. Vor allem für Demenzkranke sei die Situation nochmals belastender. "Alle Beteiligten warten auf den Tag, wo es möglich sein wird, die eigene Oma, den eigenen Opa wieder zu umarmen."
Er werde sich jedenfalls auch impfen lassen, so der Caritas-Präsident auf Nachfrage. Nachsatz: "Meiner Meinung nach sollte es aber keinen Impfzwang geben. Ich setzte auf Freiwilligkeit."
Pflegeoffensive notwendig
Im Blick auf den Pflegebereich sagte Landau, dass es in Österreich bis 2030 einen Mehrbedarf von 75.000 bis 100.000 Pflegekräften geben wird. Das sei nur mit einer massiven Ausbildungsoffensive zu schaffen. Weiters brauche es die Schließung von Angebotslücken in der Pflege-Versorgung, u.a. auch mit mehr Entlastungsangeboten für die pflegenden Angehörigen.
Ebenfalls Not tue eine Reform des Pflegegeldes, wobei es Landau nicht nur um eine Erhöhung, sondern auch um eine inhaltliche Weiterentwicklung geht. Das zeige sich etwa bei Menschen mit Demenz. Die Kriterien für die Pflegegeld-Einstufung zielen für den Caritas-Präsidenten zu sehr auf körperliche Fähigkeiten ab und weniger auf den tatsächlichen Betreuungsbedarf.
Sozialhilfe gehört überarbeitet
Für Landau steht weiters auch außer Zweifel, dass die "Sozialhilfe neu", die etwa in Niederösterreich bereits umgesetzt wurde und nächstens Jahr in einigen Bundesländern kommen soll, ein Schritt in die falsche Richtung ist. Der Caritas-Präsident appellierte im Kathpress-Interview eindringlich dafür, diese zu überarbeiten. Für schon bisher armutsgefährdete Gruppen wie kinderreiche Familien, Alleinerzieherinnen, Mindestpensionisten oder auch Künstler befürchtet Landau massive Verschlechterungen. "Die 'Sozialhilfe neu' ist eigentlich sehr alt, weil sie eben nicht mehr dieses Minimum, das für ein Leben in Würde notwendig ist, für alle gewährleistet."
"Arbeit, von der man leben kann"
Weiter dringliche Anliegen des Caritas-Präsidenten: Arbeit, von der man leben kann, leistbares Wohnen, "aber auch Heizen und Energie sind für viele Menschen eine große Herausforderung. Wir sehen, dass zu uns Menschen kommen, die wirklich am Ende des Monats vor der Frage stehen, ob sie jetzt die Miete zahlen, die Wohnung heizen oder etwas zu essen einkaufen sollen." Darum brauche es eine Existenzsicherung, die sich an der tatsächlichen Situation der Betroffenen orientiert. Landau plädierte in diesem Zusammenhang u.a. auch dafür, beim Familienbonus nachzuschärfen, damit dieser auch Familien mit kleinen Einkommen zugänglich gemacht wird.
Ebenso notwendig sind für den Caritas-Präsidenten verstärkte Investitionen in das Bildungssystem, etwa durch den Ausbau von ganztägigen Schulformen und der Schulsozialarbeit. Landau: "Je niedriger der Bildungsabschluss, desto größer die Gefahr, in Armut zu leben. Und wir sehen auch: Bildung wird in Österreich weiterhin stark vererbt." Genau deshalb seien die 56 Lern-Cafés der Caritas in Österreich heute so wichtig. Landau: "Wir begleiten dort etwa 2.100 Kinder mit Lernschwierigkeiten und wir haben tausend Kinder auf der aktuellen Warteliste." 95 bis 98 Prozent der Kinder, die ein solches Cafe besuchen, würden das Schuljahr positiv abschließen, so Landau: "Das ist für jedes einzelne Kind ein enormer Gewinn, aber auch gesellschaftlich, weil ich überzeugt bin, es geht darum, jedes Kind auf die Bildungsreise mitzunehmen, damit keine Begabung, kein Talent verloren geht." Bildung beginne freilich nicht erst mit der Schule. Deshalb, so Landau weiter, sei ein zweites verpflichtendes gebührenfreies Kindergartenjahr notwendig.
Der Caritas-Präsident bekräftigte auch einmal mehr seine Forderung, rund 100 Familien mit kleinen Kindern aus den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln aufzunehmen; noch dazu, wo so viele Pfarren und Gemeinden, über Parteigrenzen hinweg, ihre Bereitschaft bekundet hätten, Flüchtlinge aufzunehmen.
Suizid-Missbrauch verhindern
Betroffen zeigte sich Landau einmal mehr über die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, assistierten Suizid in Österreich künftig straffrei zu stellen. Der Druck auf alte und kranke Menschen, aus dem Leben zu scheiden, werde steigen, so Landau:
Wir haben in Österreich insgesamt ein gutes Gesundheits- und Pflegesystem. Aber ein wenig scheint mir, dass es so ist wie bei einem Flug; dass wir gut begleitet sind, einen tüchtigen Piloten im Cockpit haben, aber beim letzten schwierigsten Stück des Weges, bei der Landung, sagt der Pilot: 'Und das müssen Sie sich jetzt alleine organisieren'.
Die Antwort auf die Entscheidung der Verfassungsrichter könne nur der Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung in Österreich sein. "Diese Versorgung muss flächendeckend und wohnortnahe und auch leistbar sein", und zur Gänze in die Regelfinanzierung übernommen werden. Zudem sei die Regierung nun dringend angehalten, gesetzlich vorzubeugen, dass jeglicher Missbrauch im Blick auf assistierten Suizid unmöglich gemacht wird. So dürfe es etwa zu keiner Geschäftemacherei mit dem Tod kommen und auch zu keinem Zwang für Ärzte.
Landau verwies auf einen niederländischen Experten. Dieser habe sinngemäß gesagt: Hätten man vor vielen Jahren bei der Einführung der Sterbehilfe die Möglichkeiten der heutigen Palliativmedizin gehabt, dann hätte man die Sterbehilfe womöglich nicht legalisiert. Heute müsse er sagen, dass es damals ein Fehler gewesen sei.
Dankbar für 25 Jahre
Landau ist seit 25 Jahren in leitender Position in der Caritas tätig; als Wiener Caritasdirektor und seit 2013 auch als österreichischer Caritas-Präsident. "Heute bin ich mir fast sicher, dass es keine schönere Aufgabe in der Kirche geben kann", bilanzierte er im Kathpress-Interview. Natürlich sei die Not, die er immer wieder erlebt, enorm, doch gleichzeitig habe er immer wieder erfahren, "wie viel wir gemeinsam zum Guten bewegen und verändern können". Deshalb sei er für die vergangenen 25 Jahre auch so ungemein dankbar.
Das gesamte Interview mit Caritas-Präsident Landau ist u.a. als Podcast auf der Website der katholischen Kirche in Österreich - www.katholisch.at - abrufbar; weiters auch auf www.studio-omega.at, auf https://studio-omega-der-podcast.simplecast.com sowie auf iTunes, allen Smartphone-Apps für Podcasts und auf Spotify.
Quelle: kathpress