Glettler zu Lesbos: Hilfe vor Ort allein reicht nicht aus
Der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler, jüngst Besucher des Flüchtlingslagers Kara Tepe auf der griechischen Insel Lesbos, hält den ÖVP-Vorschlag einer Tagesbetreuungsstätte für Flüchtlingskinder für unzureichend: "Die Hilfe vor Ort allein reicht nicht aus, auch wenn sie den Kindern zugutekommt", erklärte Glettler in der Ö1-Sendung "Religion aktuell" (Montagabend). Es brauche auch eine Entlastung des Lagers, "unbedingt notwendig" wäre es, 100 Familien aufnehmen, "wie wir jetzt schon lange fordern".
Zuletzt hatten sich zahlreiche Kirchenvertreter, darunter Kardinal Christoph Schönborn und Erzbischof Franz Lackner, für die rasche Aufnahme besonders Notleidender aus Kara Tepe ausgesprochen. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen schloss sich am Montag diesem Appell an den türkisen Teil der Bundesregierung an.
Christoph Riedl, Asylexperte der evangelischen Diakonie, mutmaßte in "Religion aktuell", die politisch Verantwortlichen in Österreich würden sich kein Bild von den katastrophalen Umstanden vor Ort machen. "Die Kinder müssen da raus, und zwar sofort. Es ist unvorstellbar, dass man sie tagsüber betreut und abends in die nassen, kalten Zelte zurückschickt." Von "Ärzte ohne Grenzen" wisse man, dass sich heuer bereits 49 Kinder das Leben hätten nehmen wollen.
Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser machte unterdessen darauf aufmerksam, dass die Lage nicht nur im Lager Kara Tepe auf Lesbos dramatisch sei, sondern auch auf anderen Inseln. "Insbesondere auch auf Samos und Chios leben Schutzsuchende unter völlig unzumutbaren Bedingungen", so Moser in einer Aussendung.
Die ÖVP reagierte auf den wachsenden Druck, Flüchtlinge aus Griechenland in von der Zivilgesellschaft in Österreich bereits vielfach angebotene Quartiere aufzunehmen, weiterhin mit Ablehnung und einer Alternative: Gemeinsam mit SOS-Kinderdorf soll auf Lesbos eine Tagesbetreuungsstätte für rund 500 Kinder errichtet und finanziert werden.
Van der Bellen: "Wir haben Platz genug"
Bundespräsident Van der Bellen stellte sich zuletzt in der "Kleinen Zeitung" (Montag) hinter die Forderungen nach Barmherzigkeit. "Setzen wir eine humanitäre Geste im Sinne Erster Hilfe. Die kann nur heißen, prioritär Familien mit Kindern dort herauszuholen", appellierte das Staatsoberhaupt. Das könnten Familien sein, denen bereits Asylstatus zuerkannt wurde oder solche, deren Verfahren dann erst in Österreich durchgeführt werden müsste. Zur Befürchtung der Regierung, das könnte weitere Flüchtlingsströme auslösen, weshalb man lieber "Hilfe vor Ort" leiste, erwiderte Van der Bellen: "Erstens funktioniert die Hilfe vor Ort nicht, und zweitens: Weihnachten ist die Zeit der Herbergssuche, wie es der Kardinal gesagt hat. Ist es uns wirklich egal, wie es den Leuten dort geht, obwohl wir helfen könnten? Wir haben Platz genug."
Integrationsministerin Sabine Raab erklärte die ÖVP-Politik am Dienstag in einem "Presse"-Interview: Diese sei "kein Nein gegen die Hilfe für diese Menschen. Es ist ein Nein gegen die zusätzliche Aufnahme von Flüchtlingen in Österreich." Heuer seien hierzulande bereits 5.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufgenommen worden, sagte Raab. In diese Zahl rechnet die Regierung auch heuer entschiedene Asylverfahren aus vergangenen Jahren ein. Insgesamt habe Österreich in den vergangenen Jahren die zweitmeisten Asylanträge in Europa verzeichnet, fügte die Ministerin hinzu. Jetzt setze man auf Hilfe vor Ort. "Das ist unser Weg."
Quelle: kathpress