Scheuer zur Flüchtlingsaufnahme: "Wenn es brennt, muss man löschen"
Der Linzer Bischof Manfred Scheuer hat sich am Wochenende erneut in die Riege hochrangiger Kirchenvertreter eingereiht, die für die Aufnahme von akut Notleidenden aus griechischen Flüchtlingslagern plädieren. Er höre von "unhaltbaren Zuständen" dort, die rasche Abhilfe erfordern, sagte er im Interview mit dem "Kurier" (OÖ-Ausgabe, 20.12.), "Wenn es zu einem Unfall oder zu einer Katastrophe kommt, dann muss man unmittelbar helfen", betonte der Bischof. Auch wenn Prävention nicht außer Acht gelassen werden dürfe, gelte: "Wenn es brennt, dann muss man löschen."
Zu den Gegenargumenten von Bundeskanzler Sebastian Kurz, dass durch die Aufnahme die illegale Migration und die Schleusertätigkeit verstärkt werde, meinte Scheuer, diese seien "auszuloten". Er vertrete nicht die Meinung, dass die Aufnahme von Flüchtlingen grenzenlos sein müsse, um dem Evangelium Genüge zu tun. "Das muss geordnet sein und rechtsstaatlichen Kriterien entsprechen", die Belastbarkeit einer Gesellschaft in Hinblick auf die Integration sei ebenso zu berücksichtigen wie die Auswirkungen auf die politische und soziale Entwicklung. "Aber es hat sich in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt, dass der Gesellschaft im Fall einer Herausforderung Kräfte zuwachsen, die man vorher so nicht vermutet hat", wies der Linzer Bischof hin. "Zum Beispiel in den Nachkriegsjahren 1945, 1946, als teilweise Hunger herrschte und die Flüchtlinge aufgenommen worden sind."
Einige europäische Staaten, etwa Deutschland, hätten zumindest Kinder und Jugendliche aufgenommen, erinnerte Scheuer. "Ich hoffe nach wie vor, dass in Österreich ein Umdenken passiert. Und vor allem eine europäische Lösung zustande kommt. Auch wenn die äußeren Anzeichen nicht dafür sprechen."
Zum wieder angestiegenen Zustrom von Wirtschaftsflüchtlingen auch nach Spanien oder Italien erklärte Scheuer, darauf wüssten die wenigsten eine unmittelbare Lösung. Die Herausforderung bestehe darin, eine bessere Perspektive für die afrikanischen Länder zu schaffen. "Das greift noch wenig."
Kritik am Islam meint oft auch Kirche
Befragt nach dem in Europa stärker werdenden Islam und dem schwächer werdenden Christentum äußerte sich der Bischof differenziert: Es gebe sehr plurale politische und religiöse Kräfte. Die Vitalität des europäischen Christentums sei "nicht am Höhepunkt", die Muslime seien in fast allen europäischen Ländern eine starke Gruppe und "Menschen mit Rechten, mit Würde und mit dem Recht auf Religionsfreiheit". Es gelte ein Miteinander demokratisch und solidarisch zu gestalten.
Nicht übersehen werden dürfe, dass es in Europa neben diesen beiden Weltreligionen auch "ganz stark säkulare und laizistische Kräfte" gebe. Scheuer wörtlich: "Es ist ja nicht so, dass die österreichische Gesellschaft das Christentum so willkommen heißt. Mit der Kritik am Islam sollen ja die Religionen insgesamt getroffen werden. Auch das Christentum und die katholische Kirche." Kritik am sogenannten politischen Islam meine oftmals auch die Kirche.
Covid: Kirche wird "schlanker werden müssen"
Zu den absehbaren Einbußen an Kirchenbeitragsgeldern als Folge der Pandemie stellte der Linzer Bischof klar, dass der ganz große Teil der Gläubigen den Kirchenbeitrag leiste. Außerdem: "Es geht nicht darum, wie es uns geht, sondern wie es den Menschen geht", so Scheuer. Er verwies auf die enormen Probleme, vor denen viele Unternehmen stünden oder von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit getroffene Menschen. "Die große Herausforderung ist es, das wieder in Bahnen zu lenken, die nicht zu Verwerfungen führen", warnte Scheuer. Er sei "froh, dass es in Österreich einen funktionierenden Sozialstaat gibt". Für die Kirche als Arbeitgeberin werde die Entwicklung wohl in die Richtung gehen, "dass wir in manchen Bereichen schlanker werden müssen".
Der Bischof bestätigte, dass sich die Pandemie auch auf die Gottesdienstbesuche auswirkt. Bereits in den vergangenen Jahren habe sich die Schar der Mitfeiernden im Radio und Fernsehen gesteigert, "ihre Zahl war schon höher als jene, die in den Kirchen waren". Laut Scheuer ist das virtuelle Mitfeiern "nicht ideal, denn die Eucharistie braucht auch die Leiblichkeit, die Sinnlichkeit, das gemeinsame Mahl". Vielen fehle das Treffen in der Kirche, einander die Hand zu geben oder sich zu umarmen.
Missbrauch: Es fehlte an Bewusstsein
Beim Thema Missbrauch machte der Bischof auf die unterschiedliche Sensibilität aufmerksam, die es dazu in den vergangenen Jahrzehnten in der Kirche wie auch in der Gesellschaft insgesamt gegeben habe: In den 1950er-Jahren habe es mehr Verurteilungen gegeben, auch Priestern seien im Gefängnis gewesen. Dies sei in den 1960er- und 1970er-Jahren zurückgegangen, entsprechend der "Veränderung im gesellschaftlichen Bewusstsein, was sein darf und was nicht". Inzwischen sei Missbrauch als absolutes No-Go wieder unbestritten, so Scheuer. Anfang der 1990er-Jahre seien die Fälle "radikal zurückgegangen". Es sei ins Bewusstsein gekommen, "wie einschneidend das in den Biografien der Opfer, der Kinder und der Jugendlichen, ist". Resümee des Bischofs: "Die Kirche war da durchaus mit Teil der Gesellschaft." Auch in der Hinsicht, dass es in ihrem Bereich "damals zunächst stärker den Täterschutz gegeben hat als den Opferschutz". Das Interesse daran, was das mit den Betroffenen anstellt, sei erst in den 2000er-Jahren gekommen.
Befragt nach seiner heurigen Weihnachtsbotschaft erinnerte Bischof Scheuer an eine im Neuen Testament immer wiederkehrende Aufforderung: "Fürchtet euch nicht!" Der Engel sage dies zu Maria, die Engel zu den Hirten und auch Jesus zu seinen Jüngern. "Wir sollten mit einem Grundvertrauen und Hoffnung in diese Zeit hineingehen", riet Scheuer. Er erinnerte an den 1945 von den Nazis hingerichteten Jesuiten Alfred Delp, der noch kurz vor seinem Tod zur Zuversicht ermutigte: "Lasst uns dem Leben trauen, weil Gott mit uns lebt."
Quelle: kathpress