Sterbehilfe-Urteil bereitet Landau "große Sorge"
Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zur Sterbehilfe bereitet Caritas-Präsident Michael Landau "persönlich große Sorge". Es sei durch das Urteil zu befürchten, dass der Druck auf alte und kranke Menschen nun steigen könnte, so Landau im Interview mit der APA am Sonntag. "Aus der Praxis der Hospizarbeit weiß ich, oft ist der Sterbe-Wunsch, der geäußert wird, ein Hilferuf der betroffenen Menschen, ein Ruf nach Zuwendung, Unterstützung, Nähe, Begleitung", so Landau, der erneut einen flächendeckenden Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung fordert. Die Bundesregierung und der Gesetzgeber müssten zudem das Gesetz so gestalten, dass jeglicher Missbrauch bei Sterbehilfe verhindert wird.
Große Sorge bereitet dem Caritas-Chef weiterhin die Situation von geflüchteten Menschen, darunter viele Familien auf den griechischen Inseln. "Angesichts dieser Elendslager, Neugeborenen, die im Dreck und in nassen, kalten Zelten auf europäischem Boden leben müssen", bittet Landau die Regierung "inständig" um eine humanitäre Rettungsaktion: "Ich verkenne nicht, dass Österreich hier viel geleistet hat in der Vergangenheit. Aber ich appelliere hier angesichts dieser verzweifelten Herbergssuche an die Menschlichkeit der Verantwortlichen. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als unsere christlichen Werte, gerade jetzt zu Weihnachten."
Gefragt wäre hier nicht nur die Wiederaufnahme des Resettlement-Programms. "Österreich sollte im Rahmen des bereits laufenden Programms von mehr als zehn EU Staaten zumindest 100 Familien mit kleinen Kindern aufnehmen", so der Wiener Priester, der auch die Wiener Caritas leitet und seit heuer zudem an der Spitze des europaweiten Caritas-Verbunds steht.
Wiederaufbauplan für Österreich
Im Blick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie sieht Landau die Regierung gefordert, mit dem ersten Tag der Corona-Impfung einen "sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbauplan für Österreich" zu entwickeln. Darin enthalten sein sollen die grundlegende Überarbeitung des Sozialhilfegesetzes, mehr Mittel für den Arbeitsmarkt, wie etwa die Wiedereinführung der "Aktion 20.000", sowie eine Ausbildungsoffensive in der Pflege.
"Als Caritas sind wir Armutsexperten, nicht Steuerexperten", betonte Landau zwar, "aber aus der Erfahrung der täglichen Arbeit fordern wir ein erneuertes Solidaritätsversprechen für Österreich und eine Garantieerklärung der Bundesregierung, dass die Sanierung dieser Krise nicht auf dem Rücken von Kleinverdienern, Alleinerziehenden, kinderreichen Familien oder Menschen, die von Altersarmut betroffen sind, passieren darf." Solange Milliardenunternehmen wie etwa Amazon in Österreich keine oder fast keine Steuern zahlen, "möchte ich nicht mehr über die Höhe von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Sozialhilfe diskutieren müssen".
"Wir werden deutlich mehr Mittel für die Schaffung von dringend benötigten Arbeitsplätzen und für arbeitsmarktpolitische Programme brauchen, darauf ist das AMS vorzubereiten", sagte Landau mit Blick auf den Arbeitsmarkt. Kurzarbeit und Qualifikationsoffensive gingen in die richtige Richtung. Der Caritas-Präsident kann sich aber auch einen "Beschäftigungsscheck" vorstellen. Diesen, etwa in der Höhe des Arbeitslosengeldes für ein Jahr, könnten Arbeitssuchende bei der Anstellung in einem Unternehmen einlösen. Auch die Wiederaufnahme der "Aktion 20.000" wäre ein "wichtiger Beitrag".
Ein zweiter zentraler Punkt ist für Landau "die grundlegende Überarbeitung des Sozialhilfegesetzes", sodass dieses tatsächlich wieder eine "würdige Existenz" sichert. "Unsere Wahrnehmung ist, dass die Probleme armutsbetroffener oder armutsgefährdeter Menschen dramatisch größer werden und eine schlechte Sozialhilfe kann diese nicht lösen. Unser Sozialstaat muss Menschen vor dem Absturz in bittere Armut schützen. Leider werden auch in diesem Winter über 100.000 Menschen vor der Frage stehen: Kann ich mir das Heizen noch leisten, oder reicht das Geld dann nicht mehr zum Essen." Der Caritas-Präsident erwartet sich im Zuge einer Reform Rücksicht auf kinderreiche Familien und "realistische Kostenannahmen beim Thema Wohnen". In der Pflege ist es für Landau an der Zeit für eine Ausbildungsoffensive, wobei unterschiedliche Ausbildungswege, etwa auch für Quereinsteiger, gefragt seien. Zudem müsse in diesem Bereich die Eigenfinanzierung abgeschafft werden, denn: "Niemand würde auf die Idee kommen, für eine HTL ein Schulgeld zu verlangen." Auch höhere Gehälter und bessere Rahmenbedingungen für Pflegepersonal brauche es - "Applaus alleine reicht nicht aus". Und auch beim Pflegegeld sei es an der Zeit für eine echte Reform.
Auch für obdachlose Menschen ist die Coronakrise "ein absoluter Stresstest", berichtet Landau aus Erfahrungen der Caritas-Arbeit etwa im Marienstüberl in Graz oder der Gruft in Wien. "Die Zahl der Betroffenen ist derzeit noch relativ konstant, aber die Sorge, dass sie stark steigen könnte, ist leider mehr als berechtigt." Hilfreich sei der beschlossene Delogierungsstopp bis 2022, künftig werde man aber sehr genau darauf achten müssen, dass Ratenhöhen vereinbart werden, welchen armutsbetroffene Menschen tatsächlich nachkommen können.
Quelle: kathpress