Bischof Glettler: Sterbehilfe-Urteil beschädigt "Kultur des Lebens"
Das jüngste Sterbehilfe-Urteil des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) beschädigt eine "Kultur des Lebens": Das hat der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler im Live-Chat der "Tiroler Tageszeitung" (Montag) betont. Der Wunsch, sterben zu wollen, entstehe meist aus einer Ausweglosigkeit und Verzweiflung heraus. In einem solchen Moment brauche es menschlichen Beistand und nicht Hilfestellung zur Selbsttötung. Zudem hätten "drastisch geschilderte Extremsituationen" die Entscheidung des VfGH "nahezu erzwungen"; erforderlich ist laut Glettler nun ein "breiteres Gespräch über dieses höchst sensible Thema".
Bezüglich des ebenfalls getätigten VfGH-Urteils zur Aufhebung des Kopftuchverbotes, meinte er hingegen, dass er sich um "das politisierte Stück Stoff - Kopftuch" keine Sorgen mache.
"Wir dürfen den konkreten Menschen nicht aufgeben, auch wenn er sich selbst aufgegeben hat", betonte der Bischof vor den Hintergrund des ab 1.1.2022 aufgehobenen Verbots der Beihilfe zur Selbsttötung. Auch wenn es "für den Einzelnen Momente einer echten existenziellen Erschöpfung geben kann", habe der Begriff der Selbstbestimmung seine Grenzen, betonte der Bischof. Offen sei zudem, in welchen Fällen künftig eine assistierte Selbsttötung erlaubt sei und in welchen Fällen nicht.
"Die noch geltende Gesetzeslage hätte vollkommen ausgereicht, um durch Patientenverfügung und andere Instrumente uns allen ein Sterben in Würde auch rechtlich sicherzustellen", konstatierte der Innsbrucker Bischof. Kritik äußerte er jedoch am Einsatz einer hochtechnisierten Intensivmedizin, die "tatsächlich oft ein Endlich-auch-sterben-Dürfen unnötig" hinauszögere. Positiv hob Glettler die "ausgezeichnete Kultur der Begleitung" besonders vulnerabler Gruppen in Österreich hervor, etwa durch Hospiz, Seelsorge, psychologische Hilfsangebote, Ehrenamtliche in Pflegeheimen und Angehörige.
Neben Leserfragen zu Advent und Weihnachten in Zeiten von Corona und der humanitären Situation in Lesbos antwortete Glettler auch auf die Frage nach dem zuletzt umstrittenen parlamentarischen Gebet: Gemeinsames Gebet stärke zwar Verbundenheit, er sei sich aber nicht sicher, ob es "wirklich notwendig war, an diesem Ort ein Gebet zu 'veranstalten', das dann doch nicht von allen Parteien mitgetragen wurde". Zwar sei Gebet "überall möglich und notwendig, auch im Parlament", sollte aber auch nicht politisch instrumentalisiert werden. Die große Empörung darüber bezeichnete Glettler jedoch als "nicht nötig".
"Not, Kälte und Heimatlosigkeit tun überall weh"
"Bei akuten Notfällen, ob im eigenen Land oder im Ausland, ist es menschlich schwer begründbar, nur bei den eigenen Problemen stehenzubleiben", betonte der Bischof, der letzte Woche auf Lesbos war, um sich ein Bild von der Lage der Flüchtlinge zu machen. "Not, Kälte und Heimatlosigkeit tun überall auf unserer Welt gleich weh. Wir gehören als Menschen zusammen." Die Frage nach der konkreten Hilfe für die Schutzsuchenden erlaube daher keine "theoretischen Diskussionen" mehr; zudem befinde sich das Flüchtlingselend in Europa.
Als Gefahr bezeichnete es Glettler, die Solidarität mit der eigenen Bevölkerung und mit Notleidenden im Ausland gegeneinander auszuspielen. Die EU-Mitgliedsstaaten seien nun gefragt, tätig zu werden. "Nur Zuschauen oder Wegschauen geht auf Dauer sicher nicht, wenn wir die Verletzung menschlicher Würde beobachten", so der Bischof.
Schlichteres Weihnachtsfest
"Mit Sicherheit müssen wir heuer Weihnachten schlichter feiern", sagte Glettler im Hinblick auf die kommenden Feiertage. Die Corona-Pandemie zwinge zum Umdenken. Für den Innsbrucker Diözesanbischof habe dieser Umstand aber auch eine positive Konnotation: So könne darin eine Chance liegen, "das Geheimnis der Weihnacht besser zu verstehen. Auch damals ist Gott nicht in eine heile Welt gekommen".
Auch für Pfarren brachten die Corona-Maßnahmen Einschränkungen mit sich. Glettler verwies dabei auf kreative Lösungen und Alternativen. So gebe es besonders für Kinder ansprechende Outdoor-Angebote am Heiligen Abend, verwies der Bischof auf Tipps auf der diözesanen Homepage www.dibk.at.
Selbst wenn es in diesem Jahr keine weihnachtlichen Großfamilientreffen gebe, könne man sich "in anderer Weise miteinander verbinden", so der Bischof. Einsamkeit sei aber trotzdem ein Thema für viele Menschen rund um die Feiertage; hier könne ein "weihnachtlicher Kontakt, ganz einfach und ermutigend, Wunder wirken". Auch die Telefonseelsorge (142) könne bei Bedarf beistehen.
Quelle: kathpress