Assistierter Suizid : Ärzte kritisieren VfGH-Entscheidung
"Mit großer Sorge und Betroffenheit" hat das "Salzburger Ärzteforum für das Leben" die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom Freitag zur Kenntnis genommen, das Verbot der Mitwirkung am Selbstmord als verfassungswidrig aufzuheben. "Aus dem verfassungsmäßigen Recht auf Leben und Selbstbestimmtheit im Leben wurde argumentativ nicht nachvollziehbar der rechtliche Anspruch einer autonomen Entscheidung über das Wann und Wie des eigenen Todes abgeleitet", so das Forum in einer Aussendung am Samstag.
Unter Berücksichtigung der historischen Erfahrungen in Ländern, die langjährig assistierten Suizid und Euthanasie praktizieren, sei eines sicher: "Diese Entscheidung ist ein Dammbruch, welcher auch in Österreich weitreichende und langfristige Konsequenzen nach sich ziehen könnte." Dieser ersten Ausnahmeregelung, wann eine Tötung eines Menschen unter Mitwirkung eines anderen erlaubt sei, könnten weitere folgen. Es liege nun in der Verantwortung der Politik, dies zu verhindern, so das Ärzteforum.
Mit der Legalisierung des assistierten Suizids werde eine schiefe Ebene betreten, deren Dynamik man in den Benelux-Staaten, der Schweiz oder Kanada in verschiedensten Variationen vor Augen geführt bekomme. Bleibe assistierter Suizid zunächst nur Terminalkranken vorbehalten, folge schrittweise eine weitere, facettenreiche Liberalisierung: "eine Öffnung für chronisch Kranke inkl. psychisch Kranker, in der Folge die aktive Tötung auf Verlangen/Euthanasie inklusive jener von Demenz-Patienten, Kindern und Jugendlichen sowie schwer behinderter Patienten, der Altersfreitod und zu guter Letzt die Diskussion um Organexplantation nach assistiertem Suizid". Parallel entwickle sich ein zunehmender Druck auf Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen, assistierten Suizid in ihren Institutionen zuzulassen, und auch auf die Ärzteschaft, sich an Euthanasiebehandlungen zu beteiligen.
In der Argumentation des VfGH besonders erschreckend sei zudem für die Ärzte, "dass die VfGH-Richter keinen Unterschied zwischen der Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen oder der Inkaufnahme einer Lebensverkürzung durch eine medizinische Behandlung einerseits und der Inanspruchnahme von Assistenz beim Suizid erkennen". Aus ethischer Sicht stelle aber das wesentliche Unterscheidungsmerkmal die Intention dar: "Hier steht die Absicht einer Erleichterung und Vermeidung von Verlängerung des Leidens - dort die der bewussten Beendigung des Lebens."
Es bedürfe eines breiten öffentlichen Informations- und intensiven Diskussionsprozesses, um die potenziellen gesellschaftspolitischen Folgewirkungen des VfGH-Entscheids nüchtern und auch anhand der Erfahrungen anderer europäischer Länder darzustellen, fordern die Ärzte. Abschließend heißt es in der Aussendung des Forums: "Wir richten als Ärzte einen eindringlichen Appell an den Gesetzgeber, jede rechtliche Möglichkeit auszuschöpfen, um die Folgen dieses VfGH-Urteils zu minimieren."
Das Salzburger Ärzteforum ist eine Vereinigung von mehr als 350 deutschsprachigen Ärzten, die sich über Religions- und Konfessionsgrenzen hinweg für den Schutz des Lebens engagieren.
Ältere und Kranke vermehrt unter Druck
Die Ärztekammer hat die VfGH-Entscheidung als "bedauerlich" bezeichnet. Es drohe die Gefahr, "dass ältere und kranke Menschen vermehrt unter Druck geraten, ihre Daseinsberechtigung und ihren Lebenswillen zu rechtfertigen", warnte Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, in einer Aussendung. "Kategorisch abzulehnen" sei "geschäftsorientierte Sterbehilfe", also wie in Deutschland oder der Schweiz Sterbehilfe durch private Unternehmen. Vor allem dürfe aber keine Ärztin und kein Arzt "dazu gezwungen werden, gegen ihr oder sein Gewissen zu handeln und zur Tötung eines Menschen beizutragen".
Die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Notfallmedizin (ÖGARI) zeigte sich einerseits in einer Aussendung erleichtert, dass Tötung auf Verlangen und Verleitung zum Suizid weiterhin strafbar bleiben. "Mit großer Sorge" sah Präsident Klaus Markstaller aber die Entkriminalisierung der Beihilfe zum Selbstmord. Er pochte auf eine sorgfältige Neuregelung unter Einbeziehung der Experten, die einen Missbrauch ausschließt - und gleichzeitig eine flächendeckende effektive schmerz- und palliativmedizinische Versorgung, "um allen Menschen auch andere Optionen eines Sterbens in Würde zugänglich zu machen, als ihrem Leben vorzeitig ein Ende zu setzen".
Die Österreichische Palliativgesellschaft (OPG) verlangte ebenfalls klare Auflagen - inklusive einem strikten Verbot kommerzieller Anbieter. Besonders schutzbedürftige Menschen mit schweren Erkrankungen dürften nicht der Gefahr ausgesetzt werden, "dass bei der existenziellen Entscheidung über das Lebensende sozialer Druck und Rechtfertigungsnotwendigkeiten den freien Willen beeinträchtigen".
Quelle: kathpress