Expertin: Sterbehilfe-Urteil macht bisherigen Konsens zunichte
Das Sterbehilfe-Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) ist in seinem Grundtenor erschütternd und lässt zugleich zahlreiche Fragen offen. Zu dieser ersten Einschätzung kommt die Juristin und Bioethikexpertin Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie (IEF). Im Grunde habe der VfGH den Ball wieder an den Gesetzgeber zurückgespielt, "allerdings mit dem großen Unterschied, dass er eine wesentliche Säule des österreichischen Konsenses zunichte gemacht hat", urteilte Merckens im Interview mit Kathpress.
"Bisher konnte man sich darauf verlassen, in Österreich nicht legaler Weise direkt getötet zu werden. Nun haben wir den Freibrief serviert bekommen, uns gegenseitig dabei zu unterstützen, uns umzubringen. Was für eine verkehrte Welt", so Merckens, die auch der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt angehört. Erst am Donnerstag, dem Vortag der Urteilsverkündung, habe man den Tag der Menschenrechte gefeiert. "Diese Entscheidung aber spiegelt ein Rechtsverständnis wider, das Ursprung und Sinn der Menschenrechte in ihr Gegenteil verkehrt", sagte die Juristin, die von einem "schwarzen Tag für Österreich" sprach.
Österreich habe gerade in den letzten Monaten gezeigt, was Solidarität sein kann. Corona fordere von uns, sich in unserer vermeintlichen Freiheit zu beschränken, um Menschen zu schützen, die von unserem Verhalten abhängig sind. Genau dasselbe sei Sinn und Zweck des Suizidhilfeverbots gewesen. Merckens wörtlich: "Es ist nicht gut, jemandem zu helfen, sich umzubringen. Das ist ganz etwas anderes, als jemanden während seines Sterbeprozesses beizustehen." Es sei traurig, dass der VfGH diesen Unterschied nicht erkannt habe. "Wir können nur hoffen, dass der Gesetzgeber alle Möglichkeiten ausschöpft, die das Urteil offen lässt, um Rahmenbedingungen zu schaffen, die Suizide vermeiden. Jeder von uns ist gefordert, dazu beizutragen, dass sich niemand das Leben nehmen will", schloss Merckens.
Quelle: kathpress