Sterbehilfe: Für IMABE "Zaun-Abbau bei höchster Lawinengefahr"
Als "schweren Rückschritt" kritisiert das kirchliche Bioethikinstitut IMABE die VfGH-Entscheidung, das Verbot der Mitwirkung am Selbstmord als verfassungswidrig aufzuheben. Es sei "alles andere als eine Erleichterung sogenannter Selbstbestimmung", wenn Menschen inmitten der Pandemie und der damit verbundenen Zunahme von Angststörungen, Depressionen und Suizide nun erfahren, "dass der Staat gutheißt, wenn andere ihnen bei der Selbsttötung helfen", erklärte IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer am Freitag. Das Urteil sei in etwa so, "als ob man bei der höchsten Lawinenwarnstufe die Schutzvorrichtungen abbaut".
Menschen mit Tötungsgedanken aufgrund von schwerer Krankheit, Einsamkeit oder Gebrechlichkeit befänden sich in einer "höchst verletzlichen Phase", so Kummer. Verlusterfahrungen, die Angst oder auch die Tatsache, anderen zur Last zu fallen, könne Betroffene in eine Sackgasse tiefer Isolation und Hoffnungslosigkeit treiben. Sobald in solchen Phasen die Option zur Tötung als "selbstbestimmte" Lösung im Raum stehe, wachse der Druck, "dass sie das alles ihrer Umgebung jederzeit ersparen könnten". Dabei kippe Selbstbestimmung plötzlich in Fremdbestimmung. "Entsolidarisierung geht schneller als man denkt", warnte die Bioethikerin.
Dass mit der Beihilfe-Freigabe ein gefährlicher "Dammbruch" geschehe, führten laut Kummer andere Länder, "in denen der Staat die Hand zum Suizid reicht", vor Augen: In der Schweiz etwa gebe es einen besorgniserregenden Anstieg von Selbsttötungen, während in Belgien und den Niederlanden Ärzte zugegeben hätten, ihre Patienten auch ohne deren Wunsch getötet zu haben. Man könne den Ruf nach Legalisierung von aktiver Sterbehilfe auch nicht losgelöst vom Trend zur Überalterung der Gesellschaft und von der Kostenspirale im Gesundheitswesen betrachten, gab die Expertin zu bedenken. In Kanada würden Ökonomen bereits die Einsparungen dank "Sterbehilfe" berechnen, und in den Niederlanden wird derzeit in einer Gesetzesvorlage eine Art "Letzte-Wille-Pille" für gesunde, aber lebenssatte Senioren ab 75 Jahre diskutiert.
Völlig ausgeblendet habe der VfGH in seinem Urteil, dass der Wunsch zu Sterben "nicht dasselbe wie die Aufforderung zum 'Töte mich!'" sei, betonte Kummer. Die Höchstrichter hatten geurteilt, zwischen einem "Sterben zulassen" bzw. Ablehnung von lebensverlängernden Maßnahmen und einer Tötung bestehe kein Unterschied. Dieser bestehe dennoch, und er sei sogar "fundamental", so die Ethikerin. Das Töten von Patienten sei "keine Therapieoption" und werde auch von der Ärztekammer als nicht vereinbar mit dem ärztlichen Ethos bezeichnet.
Die österreichischen Verfassungsrichter hätten sich von der in der Rechtsordnung grundgelegten Aufgabe des Staates, Menschen in verletzlichen Lebensphasen zu schützen, jedoch verabschiedet. Aufgabe des Gesetzgebers werde es nun sein, alles zu tun, die gravierenden Folgen dieses Richterspruchs abzumildern. Denn statt einem Solidarisieren mit Selbsttötungsgedanken sei in in existenziellen Nöten vielmehr "ein heilsames Gegenüber, das lebensbejahende Aus-Wege aus der Krise aufzeigt" nötig. "Hilfe beim Sterben braucht jeder Mensch: Gut begleitet, Angst und Schmerzen nehmen - aber nicht das Leben", so die Ethikerin.
Quelle: kathpress