Verbot von Beihilfe zum Selbstmord vom VfGH aufgehoben
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat die Regelung gekippt, wonach Beihilfe zum Suizid strafbar ist. Der Straftatbestand der "Hilfeleistung zum Selbstmord" verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung, argumentierten die Richter bei der mündlichen Urteilsverkündung am Freitag. Es sei verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten. Tötung auf Verlangen bleibt dagegen weiterhin strafbar. Die neue Regelung ist mit 1. Jänner 2022 wirksam. Bis dahin wird dem Gesetzgeber empfohlen, Maßnahmen zu treffen, um Missbrauch zu verhindern.
Speziell die Strafgesetzbuch-Paragrafen 77 (Tötung auf Verlangen) und 78 (Mitwirkung am Selbstmord) des StGB wurden bei der dreiwöchigen VfGH-Dezembersession verhandelt. Die erste Bestimmung - "Wer einen anderen auf dessen ernstliches und eindringliches Verlangen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen" - wurde von den Höchstrichtern bestätigt. Die zweite - "Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen" - wurde differenziert behandelt. Der erste Straftatbestand (Verleitung zum Suizid) bleibt aufrecht, der zweite (Hilfeleistung) wurde jedoch aufgehoben.
Dem VfGH zufolge ist es gleich anzusehen, ob ein Patient im Rahmen einer medizinischen Behandlung oder einer Patientenverfügung lebensverlängernde oder lebenserhaltende medizinische Maßnahmen ablehnt oder ob ein Suizidwilliger mit Hilfe eines Dritten sein Leben beenden will. In jedem der beiden Fälle sei vielmehr entscheidend, dass die jeweilige Entscheidung durch freie Selbstbestimmung getroffen worden sei. Dass sowohl in der Behandlungshoheit als auch im Ärztegesetz auf die freie Selbstbestimmung verwiesen werde, widerspreche dem zweiten Tatbestand StGB des Verbots jeglicher Hilfe bei der Selbsttötung.
Wie VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter bei der Urteilsverkündung betonte, sei sich der Gerichtshof wohl der vielfältigen sozialen und ökonomischen Umstände bewusst, durch welche die freie Selbstbestimmung beeinflusst werden könne. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, durch entsprechende Maßnahmen Missbrauch - insbesondere die Entscheidung der betroffenen Person unter dem Einfluss Dritter - vorzubeugen.
Recht auf Selbstbestimmung
Für die Aufhebung des Suizidbeihilfe-Verbots maßgeblich war laut Grabenwarter das aus der Verfassung abgeleitete Recht auf Selbstbestimmung. Dieses umfasse "sowohl das Recht auf die Gestaltung des Lebens als auch das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben". Die Entscheidung des Einzelnen, ob und aus welchen Gründen er sein Leben in Würde beenden wolle, hänge von seinen Überzeugungen und Vorstellungen ab und liege in seiner Autonomie. Auch das Recht, die Hilfe eines dazu bereiten Dritten in Anspruch zu nehmen, gehöre zu dieser Selbstbestimmung.
Weiterhin strafbar bleibt die Verleitung eines anderen Menschen zur Selbsttötung. Die Entscheidung, sich unter Mitwirkung eines Dritten zu töten, ist nur dann grundrechtlich geschützt, wenn sie, frei und unbeeinflusst getroffen wird. Diese Bedingung ist von vorneherein nicht erfüllt, zumal der Tatbestand des "Verleitens" ausgeschlossen sein muss. Nicht zulässig ist laut VfGH auch die Anfechtung des Verbots der Tötung auf Verlangen, der sogenannten aktiven Sterbehilfe (Par. 77 StGB). Im Falle einer Aufhebung wäre die Tötung eines Menschen auf dessen Verlangen als Mord oder Totschlag zu ahnden.
Anlass für die VfGH-Befassung waren vier Individualanträge gegen die StGB-Paragraphen 77 und 78, die ein Wiener Anwalt mit Unterstützung des Schweizer Sterbehilfevereins "Dignitas" eingebracht hatte. Die Richter hatten sich vor dem Urteil in drei ihrer bisherjährigen Sessionen damit auseinandergesetzt.
Quelle: kathpress