Seelsorgerin: Wertschätzung für Systemerhalterinnen gesunken
Die Wertschätzung für Systemerhalterinnen - vorwiegend Frauen im Handel, die die Grundversorgung aufrechterhalten - hat sich während des 2. Corona-Lockdowns von Dankbarkeit in Frust verwandelt. Das hat Betriebsseelsorgerin Tamara Mosberger in den letzten Monaten beobachtet. Sie betreut Frauen im Handel in den Einkaufszentren Haid und der Plus City in Oberösterreich. War die Wertschätzung während des 1. Lockdowns noch groß, seien Angestellte nun zunehmen mit "grantigen" Kunden konfrontiert, sagte sie in der aktuellen Ausgabe der "KirchenZeitung" der Diözese Linz. "Man darf es sich nicht zu sehr zu Herzen nehmen, aber es gibt schon einige Kunden, die sehr ungehalten reagieren, wenn man sie an die Maskenpflicht erinnert", so Mosberger.
Es baue sich aber nicht nur durch die Konsumenten Druck auf. "Extraschichten schieben, die Sorgen um den Arbeitsplatz in den Branchen abseits des Lebensmittelhandels und die Betreuung der Kinder im 2. Lockdown, die in der Regel in Frauenhand liegt", so die Betriebsseelsorgerin.
Schwer hätten es im Moment auch Kleinunternehmer, beobachtete in den letzten Monaten Betriebsseelsorgerin Marta Stollmayer. Sie ist in der Linzer Innenstadt für Frauen im Handel zuständig. Grundsätzlich habe sie Verständnis für die Probleme der Kleinunternehmer. "Sie haben es natürlich jetzt auch schwer, müssen ihre Kredite bedienen und leiden an Existenzängsten, manche müssen zusperren", so Stollmayer.
Schwer mache es den kleinen Geschäften vor allem auch der Onlinehandel. "Ich würde mir sehr wünschen, dass die Kunden vor dem nächsten Onlinekauf bei 'Amazon' und Co. daran denken, dass viele - auch kleinere - Unternehmen schon seit dem Frühjahr Alternativen anbieten, wie man online oder über Versand/Zustellung ihre Produkte erwerben kann. Denn diese Unternehmen sind es, die unsere Arbeitsplätze hier vor Ort sichern und auch die Steuern zahlen", appellierte Stollmayer.
Auch will sie die Arbeitgeber im Handel nicht generell schlechtreden. "Die Betriebe, die sich im Rahmen der aktuellen Möglichkeiten gut um ihre Mitarbeiterinnen kümmern, gibt es auch." Besonders positiv stechen für sie jene Firmen hervor, die auch über einen Betriebsrat verfügen.
Handel bleibt "hartes Pflaster"
Dennoch bleibe der Handel gerade in Corona-Zeiten ein "hartes Pflaster". Ähnlich wie ihre Kollegin Mosberger, spricht auch Stollmayer von einem enormen Druck, der sich aufbaue. "Die psychische Belastung ist für viele der Frauen im Handel enorm." Die Problemlagen seien vielfältig. "Manche Frauen haben bewusst Teilzeit gewählt und müssen jetzt im Supermarkt bis zu 12 Stunden arbeiten, weil sie so eingeteilt werden."
Kritisch betrachten die Betriebsseelsorgerinnen in diesem Zusammenhang auch die Debatte um die Sonntagsöffnung vor den Weihnachtsfeiertagen. Groß ist die Befürchtung, dass es durch eine Ausnahme zu einem Dammbruch kommt und der generellen Sonntagsöffnung Tür und Tor geöffnet sind.
Die Angst vor dem Jobverlust verstärke sich im erneuten Lockdown natürlich. "Die Mitarbeiterinnen sind leicht erpressbar, weil sie befürchten, dass sie gekündigt werden", betonte Stollmayer. "Ein besonderes negatives Beispiel war für mich, wie einer Mitarbeiterin, die positiv auf Corona getestet wurde, von der Chefin angeordnet wurde, dass sie ihre Kolleginnen nicht als Kontaktpersonen angeben darf." Obendrein gebe es immer noch Geschäfte, in denen die gesetzliche Mittagspause nicht eingehalten werde, was aber kein coronaspezifisches Problem sei.
Für Stollmayer ist es jedenfalls eine Farce, dass aus dem oft zitierten Coronatausender als Extrabezahlung für die Handelsangestellten im Prinzip nichts geworden ist. Auch wenn sie daran nichts ändern kann, möchte sie mit ihrer Arbeit zumindest ein Stück die Wertschätzung vermitteln, die die Frauen im Handel oft vermissten. "Wenn ein Geschäft zusperren muss, besorge ich für die betroffenen Frauen ein Abschiedsgeschenk, wie zum Beispiel eine Rose und biete meine Unterstützung an."
Quelle: kathpress