Ethikerin: Ökonomische Interessen hinter Sterbehilfe offenlegen
Rufe nach einer Legalisierung von aktiver Sterbehilfe sind immer auch mit ökonomischen und demografischen Interessen verknüpft: Darauf hat die Wiener Bioethikerin Susanne Kummer am Donnerstag hingewiesen. Die Sterbehilfe-Debatte in Österreich, wo sich der Verfassungsgerichtshof ab nächster Woche erneut mit dem Verbot von Tötung auf Verlangen und Beihilfe zur Selbsttötung beschäftigt, müsse dies berücksichtigen, forderte die Geschäftsführerin des Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) in einer Stellungnahme gegenüber Kathpress.
Als "erschreckendes Beispiel" dafür, dass Kostenreduktion durch Sterbehilfe eine viel größere Rolle spielt als in der Öffentlichkeit wahrgenommen, verwies die Expertin auf Kanada. In dem Land, dessen Regierung bis 18. Dezember über eine Ausweitung des Sterbehilfe-Gesetzes entscheiden will, rechnet ein offizieller Bericht (Titel: "Cost Estimate for Bill C-7 'Medical Assistance in Dying'") bisherige Kostenersparnisse für das Gesundheitssystem von 89,6 Mio. Kanadische Dollar (56 Mio. Euro) vor. Sollte das Parlament der Ausweitung von "Euthanasie", wie Sterbehilfe in Kanada genannt wird, zustimmen, könnte für 2021 die Kostenersparnis fast doppelt so hoch sein, schreiben die Autoren.
Zwar würden die kanadischen Berichtsautoren - Mitglieder des Parlamentarischen Haushaltsausschusses, darunter ein Finanzberater - laut Kummer beteuern, ihre Analyse sei kein Plädoyer für aktive Sterbehilfe zur Kostenreduktion. Dennoch hätten sie penibel den Positiv-Effekt für die Gesundheitskassen aufgelistet und seien wörtlich zum Schluss gekommen, "dass die Erweiterung des Zugangs zu Sterbehilfe zu einer Nettoverringerung von Gesundheitskosten für die Provinzen führt" - und zwar um insgesamt 149 Mio. Kanadische Dollar.
Die Argumentation der Autoren: Die Kosten für die Gesundheitsversorgung seien im letzten Lebensjahr und insbesondere im letzten Monat erfahrungsgemäß "unverhältnismäßig hoch" und machten zwischen 10 und 20 Prozent der gesamten Gesundheitskosten aus, obwohl die Patienten nur etwa ein Prozent der Bevölkerung ausmachten. Für ihre Hochrechnungen zogen die Ökonomen Daten aus den Niederlanden und Belgien heran, kombinierten die durch aktive Sterbehilfe verkürzte Lebenszeit am Lebensende mit den sonst für diese Spanne zu erwartenden Kosten in Kanada und legten das Ergebnis auf die Zahl der zu erwarteten "Euthanasie"-Fälle um.
Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Suizid sind in Kanada schon seit 2016 durch die sogenannte "Bill C-14" erlaubt. 2019 starben 5.631 Menschen nach aktiver Sterbehilfe, das sind 15 pro Tag, nachdem es 2016 noch 1.015 Fälle waren. Die Berichtsautoren nehmen für ihre Berechnung der Kosteneinsparungen für 2021 an, dass 2,2 Prozent (6.465) aller kanadischen Todesfälle in Kanada auf aktive Sterbehilfe zurückgehen würden, wobei 50 Prozent der Betroffenen zwischen 60 und 79 Jahre alt wären.
Tötung ohne Wartefrist
Nicht nur den Report, sondern auch das geplante kanadische Gesetz selbst kritisierte die Wiener Bioethikerin Kummer scharf. Dass damit eine "Sofort-Tötung am selben Tag" möglich würde, widerspreche den Erfahrungen aus der Palliativmedizin, denn: "Sterbewünsche können sich von einem auf den anderen Tagen ändern." Äußerst problematisch sei zudem, dass auch psychisch kranke Menschen für assistierten Suizid zugelassen sein würden, da eine lebensbedrohliche Erkrankung nicht mehr Voraussetzung sein soll.
Der im Februar im Parlament eingebrachte Gesetzesvorschlag ("Bill GC-7") sieht vor, dass auch chronisch Kranke nach einer Bedenkfrist von 90 Tagen "ärztliche Hilfe" bei ihrer Tötung in Anspruch nehmen dürfen, selbst wenn ihr Tod nicht absehbar bevorsteht. Außerdem soll die Wartefrist von zehn Tagen bei Schwerkranken wegfallen.
Quelle: kathpress