Zulehner: Anschlag in Wien "trifft den Islam ins Herz"
Der Terror in Wien ist "ein Anschlag auf Gott" und "trifft den Islam ins Herz". Das hat der Wiener Theologe und Werteforscher Paul Zulehner in einer Analyse der Attentate in Wien festgehalten. Er stimmte in einem Blogeintrag den politisch Verantwortlichen zu, dass der nächtliche Terror ein Anschlag auf Demokratie und Freiheit darstelle. Doch das Bekenntnis zu beidem reicht nach den Worten Zulehners "nicht weit und tief genug". Die Terrormiliz Islamischer Staat lebe nämlich von einer ideologischen Deformation der Weltreligion Islam, die seit Jahrhunderten "tiefgläubige und armutssensible Menschen" forme und zum Welterbe zählende Kulturleistungen hervorbrachte.
Der Anschlag von Wien schade somit gerade jenem Islam massiv, der das Image einer gewalttätigen Religion zu überwinden und die eigenen Traditionen von gewaltaffinen Texten zu befreien suche. Zulehner würdigte es als "ganz wichtigen Schritt auf diesem Weg der Heilung" auch des in Österreich angesiedelten Islams von Gewalt, dass die Spitze der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich mit allen anderen Religionsgemeinschaften das Attentat verurteilte.
Die Religionsgemeinschaften sind nach den Worten des Theologen aufgefordert, den begonnenen Dialog unverdrossen fortzusetzen und dessen Unterstützung auch den politisch Verantwortlichen nahezulegen. Dabei gelte es eine gute, für alle Beteiligten akzeptable Balance zwischen Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit zu finden, die neben Argumenten auch Gefühle berücksichtigt.
Mohammed-Karikaturen "demütigen"
Zulehner ortet mit dem französische Politologen Dominique Mosi eine tiefe Demütigung der arabisch-muslimischen Welt durch den "christlichen" Westen, die auch den Nährboden für islamistischen Terror bilde.
Kann sich jemand inmitten des fassungslosen Entsetzens eines Terroraktes der Frage aussetzen, ob nicht auch die Mohammed-Karikaturen von 'Charlie Hebdo' bei unzähligen gutwilligen Muslimen eine Demütigung verursachen, die das Klima des interreligiösen Dialogs und des demokratischen Diskurses ebenso belasten wie sie einer gewaltbereiten Minderheit Aufwind geben?
Zulehner erinnerte an die Mahnung des "Europa-Apostels" Paulus an die auf ihre Freiheit pochende Gemeinde in Korinth, beim Essen von Fleisch Rücksicht auf Andersgläubige zu nehmen (1 Kor 8,10-13). Heute sollte diese Aufforderung so lauten, meinte der emeritierte Theologieprofessor: "Wenn eine Mohammed-Karikatur meinem Bruder zum Anstoß wird, will ich überhaupt keine solche Karikaturen mehr zeichnen, um meinem Bruder keinen Anstoß zu geben."
Trug Grundstimmung zu Gewalt bei?
Und Zulehner stellte weitere kritische Anfragen mit Blick auf den erschossenen Attentäter: "Könnte die Tat nicht auch der desperaten Seele eines Zwanzigjährigen entsprungen sein, der nach seiner Verurteilung samt durchaus berechtigten Gefängnisaufenthalt keinen Fuß mehr auf den Boden eines Landes bekam, dessen Grundstimmung gegenüber verurteilten muslimischen Ausländern nur lautet: 'abschieben'?" Fraglich sei, ob dem jungen Zwanzigjährigen eine reelle Chance gegeben wurde, bürgerlich zu leben, eine Familie zu gründen und eigenes Geld zu verdienen. "Natürlich entlasten solche Überlegungen den jungen Mann nicht von seiner Verantwortung" und rechtfertigten keine Gewalt, schränkte Zulehner ein.
Als "sprachlich unglücklich" bezeichnete es der Theologe, "gebetsmühlenartig den politischen Islam zu verteufeln". Jede Religion sei letztlich "politisch", wie auch der Papst in seiner Enzyklika "Fratelli tutti" darlege. Zulehner: "Ein Islam, der nicht politisch ist, verdient es nicht, eine Religion zu sein." Das Problem sei freilich, dass wie in allen Religionen "gewaltgeneigte autoritäre Persönlichkeiten" die eigene Religion schänden und zu einer Gewaltideologie deformieren. (Link: https://zulehner.wordpress.com)
Quelle: kathpress