Kinderhospiz-Leiterin: "Vor allem leisten wir Lebenshilfe"
Zu mehr Rücksicht und Aufmerksamkeit für schwerstkranke Kindern und ihre Familien hat die Geschäftsführerin des Mobilen Kinderhospizes "MOMO", Martina Kronberger-Vollnhofer, aufgerufen. Vieles könnte noch verbessert werden, um für die Betroffenen angesichts der großen Herausforderungen durch diese Krankheiten Entlastung zu schaffen und einen guten Alltag zu ermöglichen, erklärte die Kinderärztin am Donnerstag im Interview mit Kathpress. Auf Gesellschaftsebene sei mehr Normalität im Zugang zu Krankheit und Tod wünschenswert - wie auch eine "andere Sichtweise auf das, was wir für normal halten", so die MOMO-Leiterin.
Seit 2013 liefert das von Caritas, CS Caritas Socialis und der mobilen Kinderkrankenpflege MOKI-Wien gegründete mobile Kinderhospiz- und Kinderpalliativteam MOMO medizinische und psychosoziale Betreuung für Kinder mit einer lebensverkürzenden Krankheit im Raum Wien. Das multiprofessionelle Team, bestehend aus Ärztinnen und Ärzten für Kinder- bzw. Palliativmedizin, Krankenpflegerinnen, Sozialarbeiterinnen, Psychologinnen, Physio- und Musiktherapeutinnen, einer Seelsorgerin und 48 Ehrenamtlichen der Hospizbegleitung, begleitet derzeit rund 90 betroffene Familien ab der Diagnose und über den Tod hinaus und vernetzt befasste Fachleute und Einrichtungen, von Ärzten und Spitälern über Frühförderungs- und Reha-Zentren bis zu Schulen oder Flüchtlingseinrichtungen.
Welchen Mehrwert dieser Einsatz bringt, haben Forscher des Kompetenzzentrums für Nonprofit-Organisationen und Social Entrepreneurship an der WU Wien nun erstmals erhoben. Bestätigt hat sich, "dass wir tatsächlich Entlastung und ein qualitätsvolleres Leben bewirken", berichtete Kronberger-Vollnhofer. Laut den Ergebnissen übernimmt MOMO die Rolle des Case-Managements durch nahen Kontakt mit den Familien in deren gewohntem Umfeld sowie auch mit allen befassten Stellen. Eltern erfahren durch die Unterstützung und ständige Erreichbarkeit des MOMO-Teams Sicherheit; viele gaben an, die Zuhause-Betreuung des Kindes sei erst dadurch möglich. Die Kooperationspartner und Behörden sehen das Kinderhospiz MOMO hingegen als Bindeglied, das für sie zu einer Arbeits- und somit auch Kostenersparnis führt.
Allerdings bestätigte die externe Studie auch ein klares Stigma der Betreuungsarbeit am Lebensende. "Sich auf Hospiz oder Palliativbetreuung einzulassen ist für Familien oft schwierig, da das Thema stark mit Bildern des Sterbens und Todes verknüpft wird", so die Pädiatrie-Expertin. Und das, obwohl es sich bei Kindern in dieser Hinsicht anders verhält. "Die meisten unserer kleinen Patienten betreuen wir über Monate, manche sogar etliche Jahre. Krisen gibt es dabei wohl, und teilweise sind diese auch lebensbedrohlich. Doch vor allem geht es bei Kinderhospiz und Palliativbetreuung um Lebenshilfe", betonte Kronberger-Vollnhofer.
Sterbehilfe: "Negatives Signal"
Die derzeit diskutierte Sterbehilfe lehnt die Ärztin klar ab. Würde das derzeitige Verbot angerührt, so wäre dies ein "negatives Signal" für die Gesellschaft. "Man würde damit eine Tür öffnen, die zum Wohle der Menschen besser zubleiben sollte. Denn es ist absehbar, dass eine Legalisierung den Druck auf alte und kranke Menschen sowie auch auf ihre Angehörigen, Sterbehilfe auch in Anspruch zu nehmen, steigen lässt." Die nötigen Antworten auf großes Leid Sterbenskranker seien jedoch vielmehr Palliativversorgung und Hospizbegleitung, wobei es Autonomie am Lebensende für Erwachsenen schon jetzt gibt durch Optionen wie Vorsorgevollmacht und Therapiezielvereinbarungen, die aber noch wenig wahrgenommen würden. "Ausnahmen wird es immer geben, dafür braucht man aber kein neues Gesetz", so Kronberger-Vollnhofer.
Erst recht gelte dies für Sterbehilfe für schwerkranke Kinder, welche kürzlich in den Niederlanden beschlossen wurde. In Österreich werde darüber "nicht einmal laut gedacht", zeigte sich die Expertin froh darüber, denn: "So weit sind wir nicht." Ihr falle auf, dass sie in allen Jahren ihrer Berufstätigkeit zunächst auf der Kinderonkologie und dann im mobilen Hospiz noch nie den Sterbenswunsch eines Kindes gehört habe und auch Eltern niemals gesagt hätten, ihr Kind solle besser nicht mehr leben. "Sehr oft begegnete mir hingegen der Wunsch nach jedem einzelnen Tag - aber nach jedem guten Tag, an dem es keine Schmerzen, keine Angst oder keine Atemnot gibt. Alle wollen leben."
Weder Ärzte noch die Gesellschaft dürften sich anmaßen zu bewerten, ob ein Leben lebenswert ist oder nicht, so die klare Botschaft der Medizinerin. Immer komme es dabei auf die Perspektive an: "Als Mensch kann man auch sehr schwierige Situationen meistern, wobei es aber einige Monate dauern kann, bis man mit veränderten Lebensumständen zurechtkommt. Aus voller Gesundheit entscheidet ein Mensch über eine potenzielle Krankheitssituation ganz anders als ein Betroffener, weiß man mittlerweile auch aus wissenschaftlichen Studien." Menschen mit einer schweren Behinderung könnten ebenso ein gutes und schönes Leben führen - was aber in der auf Leistung, Reichtum und Schönheit getrimmten Gesellschaft allzu oft übersehen werde.
Bleibende Herausforderung
Als "große Verpflichtung" bezeichnete es die Ärztin, "die Menschen an den Rändern des Lebens - ob Kinder oder Alte und erkrankte Menschen - in die Mitte der Gesellschaft hereinzuholen". Niemand dürfe abgeschrieben werden, da die Therapie für ihn oder sie teuer und aufwändig wäre, betonte Kronberger-Vollnhofer. Wichtig sei auch, die große Erschöpfung und Überforderung, welche die Betreuung schwerstkranker Kinder in den meisten Fällen bedeutet, zu sehen, Bedürfnisse dieser Familien zu erkennen und mehr und bessere Hilfen zu ihrer Entlastung anzubieten.
Für ein besseres Verständnis zog die Kinderärztin Vergleiche mit gesunden Kindern. "Kommt ein Baby, ist das anfangs wahnsinnig anstrengend, weshalb Eltern schon nach dem ersten Lebensjahr sehr erschöpft sind. Dann fängt das Kind zu laufen an und gerät von einer gefährlichen Situation in die nächste. Nachher wird aber alles leichter, da die Kinder selbstständiger werden. Eltern müssen für ein paar Jahre alle Kräfte aufbringen und sind dabei selbst meist in einem Alter, in dem sie über diese auch verfügen. Die Eltern unserer Kinder erleben das jedoch anders: Für sie wird es nicht besser, sondern noch anstrengender, herausfordernder und schwieriger."
Teilhabe statt Mitleid
Die Liste dieser Bedürfnisse der Familien ist lange und wird von der Palliativexpertin mit "Teilhabe statt Mitleid" zusammengefasst. Konkret gehe es etwa um Verständnis des Arbeitgebers, damit Eltern trotz Betreuungsaufgaben im Beruf Fuß fassen können, oder um die Präsenz von Gesundheits- und Krankenpflegepersonen ("Schoolnurses"), um den Kindern Schule und Ausbildung zu ermöglichen. Doch auch Hospize, wo Kinder vorübergehend versorgt werden damit sich Eltern dann und wann Erholungstage nehmen können, seien wichtig, sowie leistbare professionelle Unterstützung bei der Pflege zuhause. Dass Eltern Zeit fänden, für sich selbst etwas zu tun, sei "kein Egoismus, sondern dringend notwendig um den herausfordernden Alltag gut bewältigen zu können", betonte Kronberger-Vollnhofer, die bei all dem Genannten "viel Luft nach oben" sah.
Freilich: Die Unterstützung im Alltag ist auch ein personelles und finanzielles Problem, müsse Pflegearbeit an sich doch dringend aufgewertet werden, bemerkte Kronberger-Vollnhofer. "Es handelt sich um extrem anstrengende, hochqualifizierte Berufe, die in der Gesellschaft zu wenig Weise Anerkennung finden und auch nicht ausreichend honoriert werden. Wer soll diese Arbeit machen?" Dass die Regierung das Pflegethema ernsthaft angehen wolle, begrüßte die Expertin; auch nach der Hospiz-Enquete von 2015 habe es einzelne Fortschritte gegeben wie etwa die Schaffung eines gemeinsamen Hospiz- und Palliativforums von Bund, Ländern und Sozialversicherungsträgern; einige Bundesländer würden Hospiz- und Palliativbetreuung mittlerweile größtenteils finanzieren, in der Steiermark sogar voll.
Verantwortung füreinander
Das bis heute überwiegend durch Spenden getragene mobile Kinderhospiz MOMO wird seit 2019 von der Stadt Wien zu einem Teil gefördert. "Das hilft uns sehr weiter, vor allem jetzt in der Corona-Zeit, wo manche Unterstützungen wegbrechen", so dessen Leiterin. Die Pandemie habe freilich auch bei der täglichen MOMO-Arbeit Spuren hinterlassen: Da alle betreuten Kinder der Hochrisikogruppe angehören, ist höchste Vorsicht angesagt. Strikte Hygienevorkehrungen wie etwa Schutzausrüstungen mit Masken und auch Mänteln bei Hausbesuchen, die Verschiebung mancher Kontakte auf den Videokonferenz-Modus, die Führung zweier getrennter Teams und persönliche Arbeitsbesprechungen nur im Freien bestimmen nun den Alltag der Mitarbeiter, wolle man doch eine Corona-Infektion bei den kleinen Patienten unbedingt verhindern. Ein neues Verantwortungsbewusstsein sei entstanden, zog Kronberger-Vollnhofer Zwischenbilanz.
Einen natürlicheren Umgang mit von lebensverkürzenden Krankheiten betroffenen Kindern sowie auch ganz allgemein mit dem Tod erhofft die MOMO-Leiterin auch von der Gesellschaft. "Corona ist vielleicht eine Chance, dass wir das, was alt, krank oder nicht voll funktionierend ist, nicht länger ausblenden. Freilich ist es unangenehm, daran erinnert zu werden, dass man auch selbst nicht vor dem Tod gefeit ist. Doch das Wegschauen und Abwenden macht es nur kurzfristig leichter, während das Gegenüber es spürt und darunter leidet. Jeder kann helfen, indem man einfach da ist, sich als Mensch anbietet und auch einmal nachfragt: Wie geht es dir eigentlich?" (Infos: www.kinderhospizmomo.at)
Quelle: kathpress