Experte fordert mehr Mut im Umgang mit Sterbenden
Für eine offene Debatte über das Lebensende und mehr "Zugang zur Vergänglichkeit" hat sich Rainer Simader, Autor und Leiter des Ressorts Bildung von Hospiz Österreich, ausgesprochen. Die verlorene Natürlichkeit in der Begegnung mit dem Tod gelte es zurückzugewinnen. "Dadurch, dass der Tod heute so weit weg scheint, wird er umso bedrohlicher. Es bräuchte von klein auf wieder mehr Mut im Umgang mit diesem Thema", sagte der Verfasser des soeben erschienenen Buches "99 Fragen an den Tod - Leitfaden für ein gutes Lebensende" in einem Interview mit der deutschen Katholischen Nachrichtenagentur KNA.
Die Gesellschaft führe heute einen "Kampf gegen die Vergänglichkeit", so die Beobachtung Simaders. Der Fortschritt der Medizin lasse hoffen, "dass alles wieder gut wird, dass für bislang unheilbare Krankheiten ein Gegenmittel gefunden wird und dass man sich mit dem unliebsamen Thema Tod nicht beschäftigen muss". Somit sei der Tod verdrängt worden und nur noch in den Krimis des Fernseh-Abendprogramms zu finden.
Zugleich wird Makellosigkeit auf Online-Plattformen zelebriert, Schönheitsoperationen nehmen zu, Castingshows boomen. Als wichtig gilt, gut auszusehen und Fitness zu machen.
Eine kritische gesellschaftliche Auseinandersetzung damit wäre wichtig, befand der Autor, führe diese Situation doch dazu, dass es Patienten und Angehörigen immer schwerer falle, sich dem Sterben zu stellen. Schon Kinder sollten lernen, dass die Beschäftigung mit dem Tod "nichts Schlimmes, sondern etwas Lebendiges ist", betonte der Experte, der auf Projekte wie "Hospiz macht Schule" verwies.
Doch auch Erwachsene könnten von Sterbenden viel lernen. In seinem gemeinsam mit der Palliativmedizinerin Claudia Bausewein verfassten Buch beschreibt Simader, wie sich viele Menschen zum Lebensende hin anderen Themen zuwenden und "innerlicher" werden. "Viele beschäftigt die Frage, wie sie mit ihrer Zeit umgegangen sind, ob sie ehrlich mit den eigenen Gefühlen umgegangen sind. Sie möchten sich mit Menschen versöhnen, die ihnen wichtig waren, führen letzte Gespräche", berichtete der Hospiz-Experte. Derartigen Erfahrungen sollte man "mehr Raum geben, auch öffentlichen Raum." Denn wären sich die Menschen schon im Leben über die Endlichkeit ihres Daseins bewusst, "dann würden wir manche Entscheidungen anders treffen".
Im Blick auf die aktuell anstehende Entscheidung der österreichischen Verfassungsrichter über eine Lockerung des Verbots von assistiertem Suizid bzw. aktiver Sterbehilfe äußerte sich Simader "beunruhigt" darüber, dass eine leistungsorientierte Gesellschaft alten oder sehr kranken Mensch zunehmend einen bestimmten Wert zuschreibe. Ein "schlimmes Zeichen" sei auch, dass Menschen assistierten Suizid nicht selten deshalb in Erwägung ziehen, um anderen nicht zur Last zu fallen. Die Politik und Gesellschaft müssten darüber diskutieren, forderte der Autor. Den Kirchen komme dabei eine wichtige soziale und gesellschaftliche Funktion zu: einerseits als Träger von Krankenhäusern und Palliativeinrichtungen, andererseits als "Sprachrohr" für den Umgang mit dem Lebensende.
Wichtig sei für Sterbende zu wissen, welche Möglichkeiten ihnen offen stünden - "denn es gibt sehr viele", betonte der Hospizexperte und Physiotherapeut. Oft gehe das Bedürfnis, das Leben aktiv zu beenden, auf Leid oder Angst vor Schmerzen zurück, wogegen man jedoch häufig etwas tun könne. Simader:
Ich habe mit verzweifelten Menschen mit starken Schmerzen gesprochen, die in ausweglosen sozialen Situationen waren. Viele haben später gesagt: Wenn ich gewusst hätte, wie mir geholfen wird, dann wäre ich früher gekommen.
In ihrem Buch "99 Fragen an den Tod" geben Simader und Bausewein Tipps und Anregungen zum Umgang mit den "letzten Dingen" und weichen auch schwierigen Themen nicht aus: Von "Wie gehe ich mit der Nachricht um, dass ich sterben werde?" über "Gibt es etwas, das ich Sterbenden nicht sagen darf?" und "Was ist eine ehrenamtliche Hospizbegleiterin?" bis hin zu "Wer zahlt für palliative Begleitung?" oder "Und was ist eine Vorsorgevollmacht?" reichen die beantworteten Fragen, die sich in acht Kapiteln den verschiedenen Sterbephasen widmen.
(Service: Claudia Bausewein und Rainer Simader, 99 Fragen an den Tod. Leitfaden für ein gutes Lebensende, Droemer HC Verlag, München 2020, 240 Seiten, 20,60 Euro.)
Quelle: kathpress