Orden im Umgang mit Krisen sehr erfahren
Die Corona-Pandemie ist nicht die erste Krise, mit der die katholischen Orden konfrontiert sind, und es wird nicht die letzte sein. Dass die Gemeinschaften aus ihrer Geschichte schon einiges an Krisen-Kompetenz mitbringen und ein Blick auf vergangene Bewältigung lohnt, führte eine Tagung der Ordensarchive vor Augen, die am Montag und Dienstag - aufgrund der Covid-19-Krise - als Videokonferenz durchgeführt wurde. Das Interesse an den Archiven, Monumenten und Geschichte der Orden steige momentan, auch wenn ihre Mitgliederzahl sinke, stellte der Vorsitzende der Ordenskonferenz, Erzabt Korbinian Birnbacher, in seinen Grußworten an die rund 40 vor den Bildschirmen versammelte Archivare aus Österreich und Deutschland fest. Klöster gehörten zu den "wichtigsten Orten der Gegenwart".
Gemäß dem Untertitel der Veranstaltung - "In guten wie in bösen Tagen - Krisen und Chancen im Spiegel der Ordensarchive" - berichtete der Gurker Diözesanarchivar Peter G. Tropper von "dunklen Stunden" der Kärntner Klöster seit der Zeit der Reformation. "Jetzt befinden wir uns im lustigen Elend", zitierte er die Chronistin der Klagenfurter Ursulinen aus der Zeit nach der Wiederbesiedlung des Klosters nach 1810. Zuvor war das Kloster unter Napoleon von Franzosen besetzt worden und hatte als Militärspital gedient, die Kirche war Futterlager. Hatten die Ordensfrauen vor ihrer Vertreibung ihre Einrichtungsgegenstände versteigern lassen, so mussten sie nach der Rückkehr aus dem Exil in Gurk diese nun um die drei- bis zehnfache Summe zurück erwerben.
Doch schon zuvor hatten es die Ordensgemeinschaften unter dem aufgeklärten Absolutismus nicht leicht: Der Staat - jedoch auch erneuerungsbestrebte Bischöfe - wollte das Ordenswesen kontrollieren und die Zahl der Mönche vermindern, wozu das nötige Professalter angehoben und verschuldeten Klöstern die Neuaufnahme von Ordenskandidaten untersagt wurde. Kloster-Neuerrichtungen wie auch die Wahlen von Prälaten und Äbtissinnen erforderten stets die Zustimmung des Landesfürsten, zudem gab es eigene Kommissionen zur Verwaltung der Stiftungen.
Es kam zu vielen Klosteraufhebungen, die Tropper als die "dunkelsten" Momente österreichischer Kirchenpolitik bezeichnete. Stiftsgebäude seien als Kasernen oder Fabriken verwendet und liturgische Geräte, Paramente, Kunstgegenstände, Archive und Bibliotheken der Klöster teils versteigert oder vernichtet worden. Immobilien wurden dem Religions- bzw. Studienfonds einverleibt, aus deren Mitteln Geistliche an den neu geschaffenen Seelsorgestationen besoldet und Verpflichtungen für den Erhalt von deren Kirchengebäuden geleistet wurden, zudem wurden kirchliche Bildungsinstitutionen mitfinanziert. Der Preis dafür sei enorm hoch gewesen - "der Verlust kultureller Traditionen und vieler Zentren der Bildung und der Kultur. Kärnten hat durch die Klosteraufhebungen wahrscheinlich mehr verloren, als es ökonomisch gewonnen hat", so Tropper.
St. Peter zwischen den Kriegen
Über den Umgang des Salzburger Benediktinerstiftes St. Peter mit den Wirtschaftskrisen der Zwischenkriegszeit referierte der Kirchenhistoriker Andreas Uhlig. Die Abtei stand nach dem Ersten Weltkrieg vor dem Ruin, da sie acht Kriegsanleihen gezeichnet hatte, die wegen der Hyperinflation schlussendlich wertlos wurden, wodurch eine Gesamtsumme von 4,6 Millionen Kronen verloren ging. Die Rettung schaffte zunächst eine Person, P. Petrus Klotz, der nach Nordamerika geschickt wurde und bei den dortigen Benediktinerabteien Gelder sammelte.
Trotz des Erfolgs schlitterte St. Peter schon bald noch tiefer in die Krise. Unter dem inzwischen zum Erzabt gewählten P. Klotz sollte im Salzburger Kloster ein Studienhaus für alle Benediktiner deutscher Zunge errichtet werden, finanziert durch Spenden und Messstipendien erneut aus Nordamerika. Diesem Plan kam jedoch die Weltwirtschaftskrise von 1929 dazwischen, zeigen die Forschungen Uhls, der für seine Dissertationsarbeit 7.400 Dokumentenseiten des Stiftsarchivs von St. Peter ausgewertet und diese zuvor aus Kurrentschrift transkribiert hatte: Die Messstipendien blieben aus, und alle konföderierten Benediktinerabteien erklärten sich als zahlungsunfähig.
Nach Turbulenzen innerhalb des Ordens wurde Jakobus Reimer neuer Erzabt und rettete das Stift durch radikale Maßnahmen wie etwa den Verkauf von Grundstücken und wertvollsten Kunstgegenständen. Dass diese Schätze verloren gingen, sei heute zwar sehr bitter, doch würde andernfalls das ganze Kloster eventuell nicht mehr bestehen würde, erklärte Uhlig.
Aufschluss bei Missbrauchsverdacht
Dass Ordensarchive durchaus auch in Krisen ihrer Gemeinschaften involviert sind und zu deren Bewältigung beitragen können, legte der Kirchenrechtler P. Stephan Haering dar. Etwa beim Phänomen sexuellen Missbrauchs sei es wichtig, Ordensarchive bei der Plausibilitätsprüfung von Behauptungen einzubeziehen, forderte der Benediktiner. Auch wenn Archivare meist keinen sicheren Aufschluss über behauptete länger zurückliegende Taten eines Mitglieds geben könnten, sei es zumindest möglich, die Existenz der beschuldigten Person und die Wahrscheinlichkeit ihrer Präsenz am angeblichen Tatort abzuklären; in einigen Fällen finde sich zudem im Nachlass eines verstorbenen Täters ein schriftliches Bekenntnis.
Auch in Zusammenhang mit Identitätskrisen in den Orden - etwa durch die Transformationsprozesse, die etliche Gemeinschaften in ihrer weiteren Existenz gefährden - würdigte P. Haering die Leistungen der Ordensarchive: Sie seien als "Teil des kulturellen Gedächtnisses der Kirche oder ganzer Gesellschaften anzusehen" und könnten in Krisenzeiten insofern stabilisierend wirken, dass sie neben der ordenseigenen Historiographie eventuell auch "Selbstvergewisserung ermöglichen und in ihrem Gedächtnis Zeugnisse darüber erhalten, wie frühere Generationen ihre Krisen bewältigt haben", so der Kirchenjurist.
Neuer Vorstand und internationale Tagung
Im Rahmen der Tagung wurde ein neuer ehrenamtlicher Vorstand für die Arbeitsgemeinschaft der Ordensarchive Österreichs gewählt. Das achtköpfige Gremium wird für die kommenden vier Jahre vom Archivleiter der Salzburger Erzabtei St. Peter, Gerald Hirtner, als Vorsitzender sowie P. Peter van Meijl vom Provinzarchiv der Salvatorianer als dessen Stellvertreter geleitet. Angekündigt wurde auch eine gemeinsam mit der deutschen Arbeitsgemeinschaft der Ordensarchive (AGOA) durchgeführte Internationale Tagung, die vom 12. bis 14. April 2021 in Salzburg stattfindet - "wenn irgendwie möglich wieder mit Realpräsenz", hieß es.
(Infos: www.ordensgemeinschaften.at)
Quelle: kathpress