Bundesregierung und Hilfswerke beraten "Pakt gegen Einsamkeit"
Erste Schritte für einen "Pakt gegen Einsamkeit" haben am Montag Bundeskanzler Sebastian Kurz und drei weitere Regierungsmitglieder sowie Vertreter mehrerer Hilfsorganisationen gesetzt. Im Zentrum eines Runden Tisches gegen Alterseinsamkeit standen u.a. Maßnahmen, um in Corona-Zeiten ein sicheres Umfeld für Pflegeheime und Krankenhäuser zu schaffen. Es gelte vorrangig "das Virus zu isolieren, und nicht die Menschen", mahnte dabei Caritas-Präsident Michael Landau. Denn "wer den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken will, muss die Einsamkeit bekämpfen". Dass sich die Regierung dieses Themas annehme, sei daher "ein guter Anfang". Landau forderte ein breites Bündnis aus Bund, Ländern, Gemeinden, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.
Bundeskanzler Kurz hatte Ende August einen "Pakt gegen Einsamkeit" angekündigt. Die am Runden Tisch teilnehmenden Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Zivildienstministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) betonten am Montag ebenfalls ihr Engagement gegen Einsamkeit, die insbesondere ältere und pflegebedürftige Menschen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen infolge der Corona-Maßnahme treffe. Zu den beim Dialog vertretenen Hilfsorganisationen zählten neben der Caritas u.a. das Rote Kreuz, die Diakonie, der Seniorenbund und Pensionistenverband.
Regierungschef Kurz wies darauf hin, dass Alterseinsamkeit schon jetzt eine Herausforderung für die Gesellschaft darstelle. Auch während der anhaltenden Corona-Pandemie sei es wichtig, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten. Als mögliche Maßnahmen nannte Kurz u.a. bauliche Einrichtungen wie Plexiglasscheiben, gute Hygiene, Besuchskonzepte und gezielte Testungen. Zudem gelte es, ein "stärkeres Bewusstsein in unserer Gesellschaft" für die Alterseinsamkeit zu schaffen.
Gesundheits- und Sozialminister Anschober thematisierte zudem die veränderten Lebensstrukturen in den Städten, etwa durch die zunehmende Mobilität. Auf freiwilliges Engagement setzt die für den Zivildienst zuständige Ministerin Köstinger: Gerade in Zeiten der Pandemie sei es wichtig, Ehrenamtliche einzusetzen sowie Nachbarschaftshilfe stärker in den Fokus zu rücken.
Landau: Einsamkeit "westliche Zivilisationskrankheit"
Zwar sei Einsamkeit bereits vor der Coronakrise "eine Zivilisationskrankheit in westlichen Gesellschaften" gewesen - die Jung und Alt gleichermaßen treffe - die Pandemie habe das Problem aber noch einmal deutlich verschärft, betonte Caritas-Chef Landau in seiner Stellungnahme. Er forderte "mutige und innovative Initiativen", Enttabuisierung sowie einen eigenen Regierungsbeauftragten gegen Einsamkeit.
Als besonders betroffen gelten laut Caritas alte Menschen in der mobilen und in der stationären Pflege gewesen, aber auch viele ältere Menschen, die allein zu Hause leben. "Hier werden wir Antworten brauchen - etwa wenn es um die Abwägung zwischen Freiheit des Einzelnen und Schutz der Allgemeinheit geht", forderte der Caritas-Präsident im Blick auf das viel kritisierte Besuchsverbot in Pflegeheimen. Hand in Hand ginge damit aber auch eine Pflegereform, um die mobilen Dienste wie Hauskrankenpflege und Heimhilfe zu stärken, die eine wichtige Rolle beim Thema Einsamkeit von alten Menschen spielten.
Caritas-Angaben zufolge traf es bereits vor der Coronakrise in Österreich auf 372.000 Menschen zu, niemanden für persönliche Gespräche in ihrem persönlichen Umfeld zu haben. Zudem habe sich die Zahl der Single-Haushalte in den letzten 30 Jahren fast verdoppelt. "Wenn wir Menschen nun in der Krise raten, ihre sozialen Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren, dann bedeutet das für viele, dass sie gar keine Sozialkontakte mehr haben", warnte Landau. Er verwies dabei abermals auf Länder wie England, Deutschland oder die Niederlande, wo es politische Maßnahmen dazu - wie etwa einen vergleichbaren Pakt oder sogar einen eigenen Minister dafür - bereits gibt.
Als positiv hätten sich schon vor der Corona-Pandemie Besuchsdienste und pfarrliche Initiativen wie Wärmestuben, Begegnungscafés, Buddy-Projekte oder Social-Media-Gruppen zum Austausch pflegender Angehöriger ausgewirkt, so Landau. Zu den Angeboten gegen Einsamkeit zählt aber auch das unter der Tel. 05 1776 100 erreichbare, von der Caritas mitinitiierte "Plaudernetz". Seit April sind dort laut Landau mehr als 6.000 Anrufe aus ganz Österreich eingegangen.
Dass der Bedarf an Begegnungsmöglichkeiten und Austausch groß sei, zeige auch das Caritas-Pilotprojekt "Klimaoasen" in Wien und Niederösterreich, teilte Landau weiter mit. An den im Sommer eröffneten 16 Standorten wurden allein im Juli und im August 2.000 Besucher gezählt. Das Projekt mit kostenloser Verpflegung und Gesprächsmöglichkeiten soll deshalb an manchen Standorten verlängert werden, kündigte die Caritas am Montag an.
Diakone: Einsamkeit macht krank
"Dass das Thema Einsamkeit ganzheitlich und breit in den Blick genommen werden muss", bezeichnete Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser im Vorfeld des Runden Tisches als "wichtige Lernerfahrung aus der Coronakrise". Nun müsse der Blick neben den "virologischen und infektiologischen Betrachtungsweisen" verstärkt auf die psychische, soziale und spirituelle Dimension gelenkt werden. Denn Einsamkeit wirke sich unmittelbar auf die Gesundheit aus: "Sie schwächt das Immunsystem, fördert Depressionen, Schlaflosigkeit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, beschleunigt das Fortschreiten von Demenz", warnte Moser.
Der Pakt gegen die Einsamkeit müsse zudem breiter gedacht werden, meinte die Diakonie-Direktorin. So seien nicht nur Ältere betroffen, sondern auch Schüler und Studierende sowie Arbeitslose, die sich laut "Austrian Corona Panel" am häufigsten einsam gefühlt hätten. Neben einer Pflegereform forderte Moser daher Maßnahmen für Existenzsicherung, Bekämpfung der Kinderarmut, faire Bildungschancen und eine soziale Teilhabe.
Quelle: kathpress