Corona: Experte kritisiert "bevormundende Altersdiskriminierung"
Kritik an einer "bevormundenden Altersdiskriminierung" hat der Alterswissenschaftler Franz Kolland in Hinblick auf die Corona-Maßnahmen für die "Generation Ü 60" geübt. Zwar sei der Wunsch nach mehr Schutz für "unsere Alten" und die damit einhergehenden Maßnahmen kurzfristig eine gute Maßnahme gewesen, "langfristig können wir nicht dauerhaft eine ganze Gruppe so einschränken", betonte der Leiter des Kompetenzzentrums für Gerontologie und Gesundheitsforschung an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften. Er plädiere daher "für mehr Eigenverantwortung", meinte Kolland im Interview in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift des Katholischen Familienverbands Österreich (KFÖ) "ehe+familie".
Dringend notwendig seien aber mehr Informationen über Risiko und Verhalten in Zeiten der Corona-Pandemie, meinte der Soziologe. "Die Leute haben sich viel mehr eingeschränkt als notwendig gewesen wäre". Kolland forderte daher mehr Differenzierung, nötig sei eine Kompetenzvermittlung, damit ältere Menschen "selbst entscheiden können, was gut für sie ist".
Der Alterswissenschaftler setzt sich aktuell in einer Studie mit den Auswirkungen des Social Distancing während des Corona-"Shut Down" auseinander. Es sei nicht überraschend, dass der Familie hohe Bedeutung zukomme. Trotzdem hätten sich 20 Prozent in der Gruppe der 60-bis 80-Jährigen bevormundet gefühlt, "wenn die Kinder zu überfürsorglich waren".
Mehr Beten, weniger Bewegung
Nur wenig erhöht habe sich im Vergleich zum Vorjahr hingegen der Anteil jener, die sich in Zeiten des Lockdowns einsam gefühlt hätten. Aus Sicht des Gerontologen habe sich das Bewegungsverhalten viel stärker verändert als das Gefühl der Einsamkeit: So ist der Bewegungsmangel zu Hause nicht ausreichend kompensiert worden. "Spannend war auch, dass die Menschen angegeben haben, in dieser Zeit mehr gebetet zu haben."
Fazit sei, dass Menschen im Alter erstaunlich robust im Umgang mit Krisensituationen seien. "Empirisch auf der repräsentativen Ebene, haben wir gesehen, dass sich ältere Leute sehr gut anpassen, um ihr Leben schnell wieder in eine Gestaltung zu bringen."
Als problematisch betrachtete der Experte die Angst vor Körperkontakt im Pflegebereich. "Aber wir wissen aus der Pflege, dass Berührungen eine ganz große Rolle spielen". Jedoch müsse man es sich während der noch grassierenden Corona-Pandemie "dreimal überlegen, ob ich jemanden berühre". Zu bedenken gab Kolland jedoch: "Eine 93-jährige Person lebt wahrscheinlich gar nicht mehr bis zum Ende der Pandemie und kann nicht so leicht auf 'in ein paar Monaten ist alles wieder normal' vertröstet werden".
Quelle: kathpress