Zulehner: Corona hat Gräben innerhalb der Kirche vertieft
Die Corona-Pandemie hat in der katholischen Kirche, wie auch in der Gesamtgesellschaft Veränderungsprozesse in Gang gesetzt. Wie diese verlaufen, hat der Pastoraltheologe Paul Zulehner in einer ausführlichen Online-Umfrage erhoben, die sich derzeit in Ausarbeitung befindet. Erste Zwischenergebnisse lassen darauf schließen, "dass es in der Kirche ähnliche Spaltungen gibt wie in der Gesamtgesellschaft: Ebenso wie übergroße Vorsicht findet man in der Kirche auch Zurückweisung von Pandemie-bedingten Freiheitsbegrenzungen, wie derzeit bei den Berliner Demonstrationen, wenngleich in abgeschwächter Form", erläuterte der emeritierte Wiener Universitätsprofessor am Montag gegenüber Kathpress.
Ein besonderer Themenschwerpunkt der Umfrage bildete der von den Corona-Maßnahmen besonders betroffene Gottesdienstbesuch. Vielen Kirchgängern habe das Aussetzen öffentlicher Gottesdienste "weh getan", werde das Erfahren von Gemeinschaft durch das persönliche Zusammenkommen doch von 73 Prozent als unverzichtbar erfahren, erklärte Zulehner. Zwei Drittel der Befragten hätten die Sorge geäußert, bis zum Ende der Corona-Zeit werde sich der Rückgang im Messbesuch, der schon in den vergangenen Jahrzehnten zu beobachten war, noch beschleunigen.
Gleichzeitig hätten sich für einen beachtlichen Anteil von Menschen durch die vielerorts neu entstandenen virtuellen Formen der Kommunikation und der Mitfeier des Gottesdienstes neue Möglichkeiten aufgetan: 56 Prozent der Befragten gaben an, sie hätten in der Lockdown-Phase manchmal einen Gottesdienst im TV oder im Internet verfolgt; unter denen, die sonst nie in die Kirche gehen, war es immerhin jeder Vierte. "Sehr viele Menschen, die sich sonst nie auf den Weg in den Gottesdienst machten, könnten auf diese Weise erreicht werden", so Zulehner über die aus Kirchensicht hoffnungsvollen Aspekte seiner Umfrage.
Die Ergebnisse spiegeln die Antworten von bisher mehr als 14.000 Menschen weltweit wider, wobei fast die Hälfte der Teilnehmer aus Deutschland, ein Viertel aus Österreich, weitere aus der Schweiz, Italien und osteuropäischen Ländern stammen, etliche jedoch auch aus anderen Kontinenten. Eine Beteiligung ist aktuell noch in zehn Sprachen auf Zulehners Homepage www.zulehner.org möglich. Die Frageauswertung soll im Oktober abgeschlossen sein, Detailergebnisse werden im Jänner 2021 im Buch "Bange Zuversicht", Untertitel "Coronavirus: Bedrohung oder Chance?" veröffentlicht. Für die Kirche dürfte beides zutreffen, so die Einschätzung des Theologen.
Die Umfrage sei "nicht repräsentativ, aber aussagekräftig, da sie die vorherrschenden Themen und Denkfiguren gut sichtbar macht. Damit schafft sie auch eine Faktengrundlage für Handlungsentscheidungen, sowohl in der Kirche als auch in der Tagespolitik", erklärte Zulehner. Mit Blick auf den Bildungshintergrund der Teilnehmer handle es sich um eine "riesige Expertenstudie", seien doch drei Viertel von ihnen Akademiker. Die Hälfte der Antwortenden besucht wöchentlich oder öfter den Gottesdienst, eine große Gruppe jedoch auch nur wenige Mal jährlich oder nie, informierte der Wiener Pastoraltheologe.
Quelle: kathpress