Sozialexperte erfreut über EU-Corona-Hilfspaket und Finanzplan
Der Sozialexperte und wissenschaftliche Mitarbeiter der "Katholischen Sozialakademie Österreichs" (ksoe), Bernhard Leubolt, hat sich erfreut über das europäische Corona-Hilfspaket sowie die Finanzplanung für die kommenden Jahre gezeigt. Wenn beträchtliche Geldsummen bereitgestellt werden, um "die größte Wirtschaftskrise" der letzten Jahrzehnte meistern zu können, sei das ein "gutes Zeichen". Mit der Einigung werde das Bestreben betont, eine gemeinsame Europäische Union zu formen: "Für gemeinsame Probleme wie den Umgang mit einer Pandemie wurden gemeinschaftliche Lösungsstrategien gesucht und schließlich auch gefunden", sagte er in der aktuellen Ausgabe der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag".
Gemessen an den Prinzipien der katholischen Soziallehre habe der Vorschlag des EU-Sondergipfels gewissermaßen dialogisch nach Kompromissen gesucht, um Solidarität und Gemeinwohl zu stärken und gleichzeitig die Subsidiarität zu wahren. "Nachhaltigkeit wurde als wichtiges Thema generationenübergreifender Gerechtigkeit erkannt." Viele Detailfragen offenbarten laut Leubolt Widersprüche unserer Zeit: "Sind Probleme vordergründig auf individueller oder nationalstaatlicher Ebene lösbar?" oder etwa "Sollen Gelder als Beihilfen oder Kredite bereitgestellt werden?".
Vieles lasse sich aufs Erste nur schwer beurteilen. Die grundsätzliche Richtung, international solidarische Lösungen zu finden, sei aber besonders positiv hervorstechend. Sorgen bereiten Leubolt allerdings kritische Stimmen, "die zu bedenken geben, dass der verhandelte Kompromiss vor allen auf Kosten von 'Investitionen in die Zukunft' ginge."
Der wirtschaftliche Wiederaufbau solle durch Investitionen in die Zukunft - Ökologisierung, Digitalisierung und Forschung - sichergestellt werden. Sowohl aus sozialethischer wie auch aus wirtschaftlicher Sicht seien damit Potenziale verbunden und auch der Versuch, politisch und staatlich gegenzusteuern, ein Zeichen dafür, "dass versucht wird, die Abwärtsspirale zu stoppen". Denn in einer "solchen Krisen-Situation" entstünden sowohl auf Arbeitnehmer- als auch auf Unternehmerseite große Unsicherheiten. "Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, geht der gesellschaftliche Konsum zurück. Das wirkt sich negativ auf die Erwartungshaltung von Unternehmen aus, dass Investitionen sich rentieren können. Daher wird weniger investiert und die allgemeine Erwartungshaltung verschlechtert sich weiter."
Am deutlichsten spiegle sich die Suche nach Kompromissen beim Umgang mit der Coronavirus-Hilfe wider. "Zwar sind insgesamt wie geplant 750 Milliarden Euro-Zuschüsse abgesegnet worden. Doch ursprünglich hätten 500 Milliarden Euro davon als Zuschüsse fließen sollen, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Österreich, die Niederlande, Dänemark, Schweden und auch Finnland stemmten sich dagegen - letztlich einigte man sich auf 390 Milliarden Euro. Die restlichen 360 Milliarden Euro sollen als Kredite vergeben werden."
Zur Frage, ob es sinnvoll wäre, bei diesen Verhandlungen eine "harte Linie" zu fahren, meinte Leubolt: "Belange des Gemeinwohls sind stets kompliziert und schwer eindeutig zu beurteilen. Wirtschaftlich wirkt es auf den ersten Blick, als ob Sparsamkeit ein kluger Weg wäre. Gleichzeitig kann dieser Weg aber gerade die Wirtschaft besonders schädigen. Wenn eine Abwärtsspirale als Folge von negativen Erwartungen und ausbleibende Investitionen einsetzt, gehen die 'Sparpläne' nach hinten los." Weniger staatliche Einnahmen als Folge der Krise würden Investitionen noch schwieriger machen. Es sei also auch fraglich, ob "die härtere Linie"ökonomisch sinnvoll gewesen war - besonders im Hinblick auf die großen wirtschaftlichen Verflechtungen in der EU: Die letzten größeren Wirtschaftskrisen hätten aufgezeigt, dass Kredite und Verschuldung manche Probleme eher vertagen als lösen.
Der Sozialexperte sieht im EU-Finanzpaket einen grundlegenden positiven Schritt, fordert aber gleichzeitig ein generelles Umdenken angesichts der massiven Herausforderungen aufgrund der Corona-Krise: "Wir brauchen vor allem humanistische Lösungen im Umgang mit der gestiegenen Zahl an Arbeitslosen. Nicht individuell die Arbeitslosen, sondern die Arbeitslosigkeit an sich ist das Problem." Leubolt verwies auf die Enzyklika "Laudato si", in der der Papst diesem Thema im Zusammenhang mit der Frage der Nachhaltigkeit nachgehe. Das vorherrschende, "techno-ökonomische Paradigma" verlange nach einer deutlichen Umkehr. "Dafür braucht es neue nachhaltigere Sichtweisen auf Wohlstand, um den Weg in eine Zukunft beschreiten zu können, die Soziales, Umwelt und Wirtschaft nachhaltig verbindet."
Quelle: kathpress