Wien: Gebet für jüdische Gemeinden in den Sonntagsmessen
Am kommenden Sonntag (26. Juni) jährt sich zum 350. Mal die Vertreibung der Juden aus Wien im Jahr 1670, auch als zweite "Wiener Gesera" bekannt. Kardinal Christoph Schönborn hat deshalb dazu aufgerufen, dass - zum Dank für die Präsenz jüdischer Gemeinden in Wien - in allen Wiener Pfarren beim Sonntagsgottesdienst besonders für die heimischen Jüdinnen und Juden gebetet wird. Der Wiener Erzbischof hat dies auch in einem persönlichen Schreiben an den Präsidenten der Wiener Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, angekündigt.
Der historische Hintergrund: Bis zum 26. Juli 1670 mussten auf Befehl von Kaiser Leopold I. alle Juden Wien verlassen haben - schon zuvor fand 1420 die erste "Wiener Gesera" statt. Für die Entscheidung von Kaiser Leopold waren mehrere Gründe ausschlaggebend: Antijüdische Randale besonders der Wiener Studentenschaft, die Agitation von Geistlichen und von Bischof Leopold Karl von Kollonitsch, Unglücksfälle, für die ungerechterweise Juden verantwortlich gemacht wurden oder auch die judenfeindliche Einstellung der Frau von Kaiser Leopold I., Margarita Teresa. Ein großer Teil der Wiener Katholiken war antijüdisch eingestellt und letztlich sprach sich auch eine kaiserliche Kommission für die Ausweisung aus. An der Stelle der großen Synagoge des Ghettos im Unteren Werd wurde die Leopoldskirche im heutigen 2. Bezirk, der Leopoldstadt, errichtet.
Diese zweite "Wiener Gesera" genannte Vertreibung der Wiener Judenschaft und die Zerstörung der jüdischen Gemeinde "waren eine Katastrophe für die jüdische Bevölkerung und ein schmerzlicher Verlust für Wien", betont Schönborn in seinem Schreiben an Deutsch. Die damaligen antijüdischen Wahnvorstellungen, wonach die Juden Feinde der Christenheit seien, deren heilige Schriften verhöhnen, die Brunnen vergiften, Hostien schänden, oder christliche Kinder stehlen würden hätten bei den Wiener Vorgängen des späten 17. Jahrhunderts eine zentrale Rolle gespielt.
Ein sehr kleiner Trost möge der Gedanke sein, so der Kardinal, dass in den düsteren Jahren des NS-Terrors von 1938 bis 1945 der damalige Seelsorger von St. Leopold, Pfarrer Alexander Poch, ständig bemüht gewesen sei, jüdischen Menschen zu helfen und deshalb im Visier der Gestapo war.
Schönborn wörtlich: "Die Ereignisse vor 350 Jahren können wir nicht ungeschehen machen, aber wir können sie zum Anlass nehmen, unsere Freude und Dankbarkeit darüber auszudrücken, dass es nach der Katastrophe der Shoah wieder jüdische Gemeinden und ein vielfältiges jüdisches Leben in Wien gibt." Dies sei ein Geschenk für Wien und für die katholische Kirche.
Wie Schönborn weiter schreibt, habe sich die katholische Kirche in Österreich mit allen anderen Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) die europäische "Charta Oecumenica" von 2001 zu eigen gemacht. Darin verpflichten sich die Kirchen, "allen Formen von Antisemitismus und Antijudaismus in Kirche und Gesellschaft entgegenzutreten; auf allen Ebenen den Dialog mit unseren jüdischen Geschwistern zu suchen und zu intensivieren."
Dem Schreiben, das der Wiener Erzbischof an die Pfarren gerichtet hat, ist auch der Vorschlag für eine Fürbitte beigelegt. Diese lautet wörtlich: "Den Juden wurde eine Frist bis 26. Juli 1670 gesetzt, um ihre Häuser zu räumen und Wien zu verlassen. Heute, nach 350 Jahren blüht in dieser Stadt wieder jüdisches Leben auf. Wir bitten Dich, Allmächtiger, Gütiger Herr: Segne die Jüdinnen und Juden dieser Stadt und ihre Gemeinden, gib ihnen Bestand und Wachstum in Frieden."
Quelle: kathpress