Kirchenexperten und Politiker: Gier auf Rohstoffe Einhalt gebieten
Der Schutz der Menschenrechte und der Natur braucht in der globalen Wirtschaft weit mehr Verbindlichkeit: Darauf haben österreichische Parlamentarinnen und EU-Mandatarinnen sowie Expertinnen aus kirchlichen Hilfsorganisationen bei einem Webinar gedrängt, das die Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz (KOO) am Montag gemeinsam mit dem internationale Dachverband katholischer Entwicklungsorganisationen (CIDSE) und mit Vertretern des Netzwerks "Parlamentarier für globales Handeln" veranstaltet hat. Der Gier nach Ressourcen und ihren verheerenden Folgen müsse Einhalt geboten werden, so der gemeinsame Aufruf der Experten aus Anlass der noch bis Freitag andauernden 44. Tagung des UNO-Menschenrechtsrates.
Aus erster Hand über die Situation der indigenen Bevölkerung Amazoniens berichtete Chantelle Teixeira vom Indigenen-Missionsrat CIMI. "Die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes als deren Lebensgrundlage macht auch in der Corona-Zeit nicht Halt", verwies die Juristin auf Satellitendaten: Nachdem zuvor binnen eines Jahres über 9.000 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt wurden, würden die illegale Holzsschlägerungen, Waldbrände und -zerstörungen auch 2020 unvermindert weitergehen. Angefeuert vom Bestreben der Konzerne, Land und Ressourcen zu erschließen, erreiche zudem die Gewaltwelle gegen die Amazonas-Ureinwohner derzeit einen Höhepunkt, ablesbar auch an vielen Morden.
Scharfe Kritik an der Regierung von Jair Bolsonaro äußerte die deutsche Europarlamentarierin Anna Cavazzini, die auch Vizepräsidentin der Brasilien-Delegation des EU-Parlaments ist. "Der brasilianische Präsident arbeitet inständig am schrittweisen Abbau der Maßnahmen zum Schutz der Indigenen und des Regenwaldes und treibt Gesetze zur Legalisierung der unrechtmäßigen Inbesitznahme von illegal gerodeten Amazonas-Waldflächen voran", so die Grünen-Politikerin. Doch auch die EU, bei Menschenrechten sonst Vorreiterin, sei eine der Hauptschuldigen der Amazonas-Entwaldung: Sie kontrolliere zu wenig, ob tatsächlich keine Produkte von illegal abgeholzten Flächen importiert werden. Sollte das Mercosur-Handelsabkommen zustandekommen, würde dies den Druck auf die Agroindustrie-Exporte weiter verstärken, warnte Cavazzini.
Schattenseite der E-Mobilität
Dass auch die viel beworbene "grüne Revolution" mit der Elektromobilität als ihrem Herzstück sich den erheblichen Schattenseiten in Fragen der Menschenrechte und Natur stellen muss, forderte Cristina Duranti von der Good Shepherd International Foundation. Die Italienerin lenkte dabei den Blick auf die Situation in der Demokratischen Republik Kongo: Über 65 Prozent des weltweit verwendeten Kobalts - das für Lithium-Batterien von Elektroautos und Smartphones sowie in zahlreichen Technologien für erneuerbare Energien eingesetzt wird - stammen von hier, allen voran aus der im Süden gelegenen Provinz Lualaba.
Der Kobalt-Abbau ziehe vor Ort zahlreiche Menschenrechtsverletzungen nach sich, mahnte die Direktorin des internationalen Hilfswerks der Ordensgemeinschaft der Gute-Hirten-Schwestern: Einerseits die ausbeuterische Kinderarbeit, seien doch viele Kinder in den Minen im Transport oder in der Verarbeitung des seltenen Metalls tätig. Viele seien auch im nochmaligen Abgraben und Schürfen in Minenabfällen beschäftigt, um die hier mühsam aufgefundenen wertvollen Erze am Schwarzmarkt weiterzuverkaufen. Die meisten Kinder vor Ort könnten laut Duranti weder lesen noch schreiben:
Armut zwingt die Familien dazu, dass ihre Kinder in den Minen tätig sind statt die Schule zu besuchen, womit die Armut einzementiert wird. Zudem fehlt es in den entlegenen Abbauregionen meist völlig an Sozialeinrichtungen.
Die Frauen in Lualaba nannte Duranti als eine weitere durch den Metallabbau besonders benachteiligte Gruppe: "In unseren Erhebungen haben die meisten Befragten berichtet, sie seien sexuell missbraucht worden, zudem gibt es eine enorm hohe Rate an Totgeburten oder fehlgebildeten Kindern." Die Menschenrechtlerin sprach von einer insgesamt "sehr komplexen" Situation, in der auch Korruption, fehlende Durchsetzung und Kontrolle von Schutzgesetzen und ein unheilvolles Zusammenspiel von multinationalen Konzernen und den Minenbetreibern mitspielten. "Vor Ort herrscht Anarchie, befeuert durch die internationale Gier nach Kobalt", so die Situationsanalyse der Expertin.
Verbindlichkeit ohne Alternative
Als keinen Ausweg aus den eklatanten Zuständen bezeichneten die Expertinnen freiwillige Selbstverpflichtungen zu Transparenz, Menschenrechten sowie Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsstandards. Auch Boykotte von Firmen könnten sich für die Bevölkerung vor Ort mitunter als Bumerang erweisen und negativ auswirken, zumal es in den Abbauregionen oft keine Beschäftigungsalternative gebe. "Wenn Technologiefirmen Anklagen wegen Kinderarbeit am Hals hatten, wurden bisher meist nur Abbau- oder Produktionsstätten eingezäunt und die Kinder rausgeworfen, dabei aber kein Dollar in Bildung, Entwicklung oder Verbesserung der Infrastruktur investiert", schilderte Duranti.
Als Teil einer denkbaren Lösung begrüßten die Fachleute verbindliche Richtlinien für Unternehmen, um in ihren Lieferketten alle Formen von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden vorzubeugen, davor zu schützen oder bereits geschehene Verstöße wiedergutzumachen. Dazu gehört u.a. das von der EU angestrebte Sorgfaltspflichtgesetz, welches bei Verstößen auch rechtliche Sanktionen und Klagemöglichkeiten für Betroffene vorsieht. EU-Justizkommissar Didier Reynders will einen Entwurf für ein solches Gesetz im Jahr 2021 im Rahmen des "Green Deals" der EU vorlegen.
"Wir brauchen einen normativen Wechsel im gesamten Wirtschaftssystem, da unter heutigen Bedingungen keine nachhaltige Entwicklung möglich ist", so das Resümee der österreichischen SP-Nationalrätin Petra Bayr, die das Webinar moderierte. Zirkulare Wirtschaft und schonender Ressourceneinsatz seien zur Eindämmung der Gier des Weltmarktes vonnöten, ebenso die Verzahnung von internationaler, nationaler und regionaler Politik sowie der unbedingte Fokus auf die Durchsetzung der Menschenrechte für alle Menschen weltweit - wofür die Nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO (SDGs) eine Argumentationsgrundlage lieferten. Auf Ebene der Zivilgesellschaft sei es wichtig, "Aufmerksamkeit und Solidarität zu erzeugen": Schließlich sei über die Nutzung der Endprodukte jeder einzelne Konsument vom Thema betroffen, so die SP-Bereichssprecherin für globale Entwicklung.
Quelle: kathpress